Das Selbstbewusstsein und seine Entwicklung

Selbstbewusstsein und sein Entwicklung

Bewusstsein 2.0 – Teil 2

Im Teil 1 habe ich ein Modell von Bewusstsein vorgestellt, welches aus einem erkennenden System, Aktoren, Sensoren, sowie einem Kontext besteht. Es ist dies ein allgemeingültiges Modell von Bewusstsein. Sofern dieses zutrifft, muss es auch möglich sein Selbstbewusstsein darüber zu erklären. Demnach hat Selbstbewusstsein auch ein erkennendes System, jedoch mit dem wesentlichen Unterschied, dass eines der beiden Ereignisse vom erkennenden System selber verursacht wird. Das Erkennende ist also gleichzeitig die Ursache für eine Wirkung. Die Wirkung selber kann entweder auf das externe Umfeld – das könnte das soziale, natürliche oder technische sein oder auf das interne also auf den eigenen  Körper – zielen. Daraus kann man bereits ableiten, dass Selbstbewusstsein sowohl einen Körper als auch ein Umfeld/Raum benötigt.

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Die Entwicklung des selbsterkennenden Systems beginnt dann, wenn der Mensch das erste Mal an seinem Körper oder in seiner Umwelt etwas verändert wovon er selber die Ursache ist. Im Säuglingsalter wäre das beispielsweise das Weinen, welches die Mutter zum Stillen herbei ruft. Diese Selbstwirksamkeit wird nicht durch ein einziges Ereignis entwickelt, sondern muss durch entsprechende Wiederholungen erlernt werden. Durch das Erleben des eigenen Körpers und durch die Manipulationsmöglichkeit an der Umwelt entsteht im Laufe der ersten Lebensjahre eine Selbstwirksamkeit. Je nach Erziehung und sozialem Umfeld ist am Ende ein mehr oder weniger starkes Selbstbewusstsein vorhanden. Sofern dieses sehr stark ausgeprägt ist, spricht man von Narzissmus, welcher sich bis zu krankhaften Erscheinungen fortsetzen kann. Auch ein unterentwickeltes Selbstbewusstsein ist für ein erfülltes Leben nicht günstig.

Der eigene Körper spielt für die Entwicklung des Selbstbewusstseins eine wesentlich höhere Rolle als das Umfeld und die intellektuellen Fähigkeiten. Es wird daher der Begriff „Embodiment“ sehr häufig mit Selbstbewusstsein verwendet. Der Mensch besitzt einen Körper und benutzt ihn um Informationen aus der Umwelt zu erhalten und auf diese einzuwirken Die Wirksamkeit des Menschen auf die Umwelt ist hauptsächlich über den Körper gegeben. Sicher ist heutzutage die manuelle Kraft nicht mehr so bedeutsam. Die Fähigkeit sich sprachlich ausdrücken zu können ist auch sehr selbstwirksam. Mentale Vorstellungen von seinem eigenen Körper gehören auch zum „Embodiment“. Sich selber vorstellen zu können und sich zu sehen, auch wenn man nicht gerade vor einem Spiegel steht. Wie man aussieht hat also einen großen Einfluss auf das Selbstbewusstsein. Dazu muss man sich eben mental sehen und gleichzeitig spüren wie die eigene Erscheinung bei anderen wirkt. Diese Wirkung wird heute in nahezu jeder Werbung eingesetzt. In der Gehirnforschung konnte erstaunlicherweise nachgewiesen werden, dass die visuelle Selbstwahrnehmung stärker für das Selbstbewusstsein ausschlaggebend ist als die Kinästhetische.

Neben der Selbstwirksamkeit ist es ein autobiographisches Gedächtnis, welches das Selbstbewusstsein ausmacht. Die Erinnerung an Aktionen und deren Wiederholung mit dem Wissen der Wirksamkeit stärkt zusätzlich das Selbstbewusstsein. Wiederholte Aktionen werden durch den Lerneffekt immer wirksamer ausgeführt. Im Sport heißt das Training und kann zu einem Sieger-Bewusstsein führen.

Die Entwicklung des Egos wird in den verschiedenen Kulturen völlig unterschiedlich gesehen. In den westlichen Ländern ist es notwendig ein sehr starkes Ego zu entwickeln um im beruflichen Wettbewerb erfolgreich zu sein (Ich-AG). In der asiatischen Kultur ist es genau umgekehrt. Dort lernen Menschen das Ego möglichst klein zu halten und gegebenenfalls sogar zu unterdrücken (ZEN). Starkes Ego soll also bei anderen Menschen eine möglichst starke Wirkung hinterlassen – das muss trainiert werden, Personal und Persönlichkeitsentwicklung sind erforderlich. Schwaches Ego soll also bei anderen Menschen und dem Umfeld keine Wirkung hinterlassen – das muss auch trainiert werden, Achtsamkeit und Meditation sind dazu erforderlich.

Körperliche Erfahrungen bestimmen das Selbstbewusstsein wesentlich mit. 5% der Menschen haben darüber hinaus auch sogenannte außerkörperliche Erfahrungen (Out of Body Experience – OBE). Dabei trennt sich der mentale visuelle Körper (First Person) vom kinästhetisch-taktilem Körper. Menschen sehen sich dabei meist schwebend, wie sie sich selber anschauen. Körperempfindungen bleiben aber im realen Körper. Das Bild vom Körper hat sich also von seinen Sinnen getrennt. Es entsteht damit ein visueller Avatar, der sich in verschiedensten Räumen bewegen kann. Die Sinne dazu bleiben aber im physischen Körper zurück. Durch die Entwicklung von VR-Brillen werden nun außerkörperliche Erfahrungen vielen Menschen zugänglich. Die virtuelle Realität wird damit eine enorme Ausweitung von Selbstbewusstsein mit sich bringen. Man kann damit die eigene Wirksamkeit in verschiedensten Situationen testen und gleichzeitig auch erlernen. Die beiden Begriffe „Avatar“ und „First Person“ haben eine sehr enge Beziehung zur Digitalisierung und im Speziellen zur Spieleindustrie. Computerspiele sind demzufolge eine sehr wirksame Methode Selbstbewusstsein zu erlernen. Es müssen aber nicht zwangsläufig Ego-Shooter Spiele sein, sondern sollten Simulationen auf die reale Umwelt – in der dann ja  auch die Wirksamkeit getestet wird – sein.

Out of body experience

Die Gehirnforschung kann das Phänomen vom Selbst (analog) schon ganz gut belegen. Parallel dazu laufen intensive Entwicklungen im Bereich des „Deep learning“ (digital).  Diese beiden Entwicklungslinien profitieren jeweils wechselseitig voneinander. So wird uns die Digitalisierung wesentliche Einblicke in das menschliche Selbstbewusstsein bringen. Damit einhergehend können wir auch eine mögliche Bewusstseinsentwicklung von digitalen Entitäten beobachten.

Im Rahmen dieser Blog Serie möchte ich genau diese wechselseitige Beeinflussung immer aktuell halten.

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