Bewusstsein Teil 10 Systemtheorie

Beobachter, Kommunikation und Psyche

Ein Vogelschwarm ist zweifelsohne ein System. Man kann ihn sehr gut vor dem blauen Himmel und den Wolken erkennen und ist damit eine Differenz zu seiner Umwelt. In dieser sind die Grundbedürfnisse Luft und Nahrung also Materie  und Energie enthalten. Vögel als Elemente sind interagierende Lebewesen was wiederum eindeutig auf ein autopoietisches System hinweist. Trotzdem schauen wir den Schwarm mit Staunen an und fragen uns: “Wie kann es sowas nur geben?” Zur weiteren Erklärung braucht es da noch die strukturellen Prozesse. Die Struktur eines Schwarm-Systems zeichnet sich durch die räumliche Positionierung jedes Elementes aus. Jeder Vogel hält zu seinen Nachbarn immer den gleichen Abstand. So kommen sie sich nicht zu Nahe und driften auch nicht auseinander. Eine derart konstante Formation kann schon einmal vorkommen. Meistens sieht man aber den Schwarm in nicht vorhersehbarer Bewegung mit oft wunderschönen Mustern fliegen. Dafür ist der interne Prozess verantwortlich. Auch das ist ein sehr einfacher, der nur auf die Wirkung zweier Kräfte beruht. Die eine Kraft zieht die Vögel zu den Nahrungsmitteln, also nach außen hin zu den Insektenschwärmen. Die Andere nach innen. Wenn nun außen fliegende Vögel auf Insekten stoßen, wird die erste Kraft stärker und weil die innere Kraft der anderen Vögel den Zusammenhalt sichert bewegt sich der Schwarm genau in diese Richtung. Wird nun dort die Nahrung geringer lässt auch diese Kraft nach, während an anderer Stelle die Nahrungskraft wieder ansteigt. So ist gewährleistet, dass im Laufe des Prozesses alle Vögel zu Nahrung kommen und wir sehen diese erhebende Dynamik. Für einen Vogel allein ist es äußerst schwierig an ertragreiche Insektenschwärme heranzukommen. Seine Umwelt ist dafür zu Komplex. Zu deren Vereinfachung ist die Schwarmorganisation entstanden, welche in sich jedoch wieder eine höhere Komplexität als seine Umwelt aufweist. Ein sehr stabiles Gebilde, das kaum zu stören ist. Dennoch sind es Sturm, Regen, Luftdruck, usw. die als Störungen auftreten und als Signale aus der Umwelt empfunden werden. Genau das alles beobachten wir. In Abbildung 1, ist der so beschriebene Vogelschwarm entsprechend der systemtheoretischen Fachsprache dargestellt.

Abbildung 1

Beobachtung:

Niklas Luhmann hat der Beobachtung einen breiten Raum gegeben. Nach seiner Theorie ist beobachten jedem System immanent. Es kann sich selbst genauso wie seine Umwelt beobachten. Diese Fähigkeit wird dann gemeinhin als “Beobachter” definiert. Hier kommt wieder die Differenzierung zu Vorschein. Das beobachtete ”Etwas” muss sich von dem “nicht Etwas” unterscheiden, weil es ansonsten zu keiner Beobachtung kommt. Man kann nicht etwas beobachten was es nicht gibt, respektive was nicht gesehen wird. Wobei der Beobachter nur eine logische Konstruktion ist, das Beobachtete etwas ist was eine Unterscheidung macht und die Beobachtung den Unterschied bezeichnet. Beispiele dazu aus den Vorlesungen von Luhmann (Pörksen, 2020).

In Abbildung 2A beobachten wir einen Kreis und bezeichnen den auch als solchen. Wir könnten aber auch sagen: “es ist ein Nicht-Quadrat!”. Das ist zwar richtig, weil alles was ein Nicht-Quadrat ist, eben auch ein Kreis sein könnte, aber es wäre unpräzise und schließt viel andere Formen wie Dreiecke, Ellipsen, usw. mit ein. Bei einer exakten Beobachtung wird immer nur eine Seite des Beobachteten explizit bezeichnet. So haben wird die beobachteten Vögel als Schwarm bezeichnet und nicht als Nicht-Zugvögel. Wir könnten aber auch etwas Beobachten was wir nicht kennen und daher auch nicht zu bezeichnen wäre. Wenn wir einen schleimigen Organismus sehen, der zwar wie ein Pilz ausschaut aber doch keiner ist, müsste man ihn als “Nicht-Pilz” bezeichnen. Das wäre dann so lange seine Bezeichnung bis detailliertere Beobachtungen erkennen lassen, dass es sich dabei um einen riesengroßen Einzeller handelt. Man hat ihm den Namen Blob gegeben.

Jetzt können zwei Menschen ein und dasselbe beobachten und kommen zu zwei unterschiedlichen Bezeichnungen. In Abbildung 2B ist die Kunstfigur “Conchita Wurst” ein Entwurf von Tom Neuwirth zu sehen. Ein Beobachter sieht „etWAS“ und bezeichnet das als Frau. Dieser Meinung können wir uns anschließen, aber auch zum Schluss kommen es sei ein Mann. 

Abbildung 2

Was wir als Mensch beobachten können hängt von der Sozialisation, der Bildung und dem aktuellen Kontext ab und kann bei ebendiesen Objekten zu verschieden Bezeichnungen führen. Zu einem Zeitpunkt machen wir eine Beobachtung, andere sind damit ausgeschlossen. Systemtheoretisch als Beobachtung 1. Ordnung bezeichnet. 

Im Augenblick des Beobachtens haben wir einen blinden Fleck, der es uns nicht ermöglicht, das WAS und gleichzeitig das WIE etwas beobachtet wird zu erkennen. Zu einem späteren Zeitpunkt können wir die Perspektive ändern, also das gleiche WAS anders Beobachten und so auch zu einer anderen Bezeichnung zu kommen. Sofern wir ein etWAS schon gut kennen, läuft dieser Prozess unbewusst ab. Bewusst wird es meist dann, wenn dessen Differenzierung groß genug ist und wir sagen: “Jetzt ist es mir so richtig bewusst geworden”.

Wir könnten aber auch jenen Beobachter der bei “Conchita Wurst” eine Frau erkannt hat beobachten. Wir würden einen Modedesigner erkennen der vorwiegend die Kleidung gesehen hat und daher zu diesem Schluss gekommen ist. Das wäre dann die Beobachtung 2. Ordnung. Wenn ein Beobachter einen Beobachter beobachtet. In zweiter Ordnung erkennen wir etWIE beobachtet wird. Setzen wir nun anstelle des Modeschöpfers einen Friseur in erster Ordnung ein, würde dieser einen Mann erkennen. Weil er den Bart als echt erkannt hat und die Haare als Perücke. So können wir in zweiter Ordnung von ein und demselben WAS verschieden Seiten erkennen und bezeichnen. “Conchita Wurst” ist ein Mann und eine Frau, je nach Beobachtung, was ja Paradox ist.

Paradoxon:

“Conchita Wurst”: Ist was sie nicht ist, eine Frau. Eine wichtige Rolle bei der Beobachtung spielt die binäre Codierung. Wenn wir den Blob nun kennen, findet dieser Begriff schnell Anschluss und der Begriff Pilz dafür wird zurückgewiesen. Jetzt gibt es aber auch die Fälle bei denen beide Seiten der “Binär Codierung” Anschluss finden (Abbildung 3A).

In Abbildung 3B ist das wohl bekannteste Paradoxon “Ich weiß das ich nichts weiß” gezeigt. Es stammt vom griechischen Philosophen Sokrates. Wenn man sich auf dessen Inhalt einlässt, weiß man, dass man eben nichts weiß. Was dazu führt, dass man zumindest weiß, dass man nichts weiß. Dann aber weiß man auch das man nichts weiß. Wir sprechen dann von einem selbst-referentiellen, oszillierenden System und kommt zu keinem logischen Schluss. Wie aber löst man so ein Paradoxon auf? Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten. Dieses Beispiel könnte man auf eine höhere Ebene bringen und es als Sprachspiel bezeichnen. Die Linguistik ermöglicht uns sowas, womit wir für nahezu alle Situationen ähnliches konstruieren können. Damit sind wir aus der Schleife herausgekommen. Sokrates hat es nichts geholfen. Er wurde trotzdem 399 v.Chr. für schuldig gesprochen und hingerichtet. 

Abbildung 3

In der römischen Antike war die Tötungsmethode durch Kreuzigung allgegenwärtig (Abbildung 3C) Sehr bekannt ist die Kreuzigung von sechstausend Spartacus-Kämpfern, die entlang der Via Appia von Rom nach Capua dadurch ihren Tod fanden. Das Kreuz war schlechthin ein todbringendes Symbol. Was es auch noch zum Zeitpunkt der Kreuzigung Jesu war.  Die Auferstehung und dem damit verbunden ewigen Lebens verformten das Kreuz zu einem Symbol für Leben. Dieser Übergang dauerte etwa vierhundert Jahre, bis das Christentum römische Staatsreligion wurde. Während dieser Zeit war es ein Paradoxon das sowohl für Leben als auch für den Tod stand. Es hat lange gedauert, bis es sich aufgelöst hat. Zeit geben ist eine mögliche Form der Entparadoxierung. Sofern es sich um sachliche Inhalte, wie das Teilchen / Wellen Paradoxon in der Quantenmechanik handelt, ist das eine geeignete Methode. Wenn damit aber körperliche Schmerzen verbunden sind, ist das Zeit geben ungeeigneten. Ein Karzinom ist schmerzhaft, genauso wie eine Chemotherapie. Hier abzuwarten ist wahrscheinlich die Schlechteste aller Möglichkeiten.

Wenn ich jemanden sage, dass: “Die Sonne morgen untergeht” hat das einmal keinen Informationsgehalt, weil es ja sicher ist und erzeugt dadurch auch keine Information im Beobachter (Abbildung 3D). Behaupte ich aber gleichzeitig das Gegenteil mit: „Die Sonne geht morgen nicht unter” habe ich ein Paradoxon erzeugt. Für den größten Teil der Menschheit ist der tägliche Sonnenuntergang völlig selbstverständlich. Für wenige, die den nördliche (auch südlichen) Mittsommer erleben dürfen, geht die Sonne während vierundzwanzig Stunden eben nicht unter. Die Auflösung dieses Paradoxons ist eine sehr einfache. Man braucht nur nach Norwegen zu reisen. Ein Ortswechsel bringt eine andere Perspektive, ist also ein Beobachten zweiter Ordnung.  Nur das hätten die Richter von Galilei Galileo tun müssen. Die Kirche hat sich aber bis 1992 dafür Zeit gegeben, um das zu lösen. 

Wenn nun: “Etwas ist wie es ist” so spricht man von einer Tautologie. Eine Rosine als Weinberl oder als Sultanine zu bezeichnen, bedeutet einem WAS mehrere Bezeichnungen zu geben. Das kann, ebenso wie ein Paradoxon zu Verwirrung führen. Die wahrscheinlich beste Möglichkeit solche Gegebenheiten aufzulösen ist die Beobachtung zweiter Ordnung und darüber zu kommunizieren.

Kommunikation:

Ist jener Teil der Systemtheorie, der sich am weitesten von unserer Alltagserfahrung unterscheidet. In den “Vier Seiten einer Nachricht” spricht (Schulz von Thun, 2013) von einem Sender, der einem Empfänger Nachrichten auf vier Kanälen übermittelt.  Im Mittelpunkt steht der Mensch, welcher sich über das Medium Sprache mit einem oder mehreren Partnern austauscht. Bei Luhmann jedoch ist der Mensch nur Umweltbedingung und kommuniziert nicht. Kommunikation ist ein eigenständiges, selbst replizierendes also autopoietisches System in der Umwelt von Psychen (Abbildung 4A). Es müssen mindestens zwei Psychen beteiligt sein, die über das Programm von Medien untereinander gekoppelt sind. Unterschieden werden Interaktionsmedien wie Sprache, Verbreitungsmedien wie TV und symbolische Medien wie Flaggen. Die Elemente eines KOM-Systems sind sonst nichts als Kommunikation. Sofern KOM-Elemente Anschluss finden, erzeugen sie weitere mutierende Neue. Wenn sie zurückgewiesen werden, endet diese Kommunikation genau hier. Wenn jemand eine Gesprächssituation abrupt verlässt, würde die Kommunikation damit enden. Sie könnte aber auch Anschluss finden insofern als dann genau darüber gesprochen wird. Was jetzt noch im Sinne der Systemtheorie zu klären ist, sind die Strukturen und Prozesse des Kommunikationssystems.

Jedes KOM hat eine Dreier-Struktur die sich aus Mitteilen, Daten und Verstehen zusammensetzt. Wobei die Mitteilung die Form bezeichnet auf der Kommunikation stattfindet. Neben der Sprache und Gestik sind das Zeitungen, TV, Social Media, Streaming Plattformen und neuerdings das Metavers. Auf diesen Signal-Trägern befinden sich die Informationen, richtiger gesagt die Daten (Abbildung 4B). Damit Daten jemals die Chance auf Verstehen erhalten müssen sie codiert sein. Sprache und Text mit Syntax, Videos in H.264, Webseiten in HTML, Pfeifen von Murmeltieren als Gefahr, Fachsprachen, Morsezeichen, uvm. Die Daten unterscheiden sich von den Medien und ermöglichen so eine erste, externe Differenzierung. Voraussetzung für den Verstehensprozess ist, dass jemand die Daten lesen kann. Es braucht einen “Reader” und einen “Decoder”, der aus den dafür codierten Daten etwas verständliches macht.

Zuallererst gilt es den Decoder zu entwickeln. So wie Kinder eine Sprache lernen. Unterhalten sich zwei Quantenphysiker so tun sie das mit der sprachlich korrekten Syntax, aber wir verstehen sie trotzdem nicht. Möchten wir deren Kommunikation folgen müssten wir Quantenmechanik studieren. Darüber hinaus gibt es Signale-Ströme, von denen wir nicht einmal wissen, ob sie Daten enthalten und wie sie codiert sind. Vielleicht sind sie nur Rauschen. “Search for Extraterrestrial Intelligence” kurz SETI ist ein Horchposten für Signale außerirdischer Wesen. Dabei wissen wir weder die Form noch den Code, auf dem sie eventuell kommunizieren. Abgesucht, gescannt wird derzeit nur das elektromagnetische Spektrum. Was wäre mit codierten Gravitationswellen? Luhmann meint zu gelingender Kommunikation, dass dies sehr unwahrscheinlich ist und meint da eben nicht die ET’s.  Gelungene, verstandene Kommunikation generiert Anschluss und das ist schlechthin dessen Merkmal. Kommunikation erzeugt aber auch eine Wirkung. Wäre das nicht, so würde sie auch nicht existieren. Gelungene Kommunikation löst Handlungen aus und ermöglicht ein Erleben.

Abbildung 4

Voraussetzung dafür wiederum ist die Integration in der Psyche. Wer also andere zu Handlungen bringen möchte, muss Verstehen wahrscheinlicher, Anschluss schmackhafter und Integration zuverlässiger machen. Aktuell stellt sich die Frage: “Wie bringt man Skeptiker zu einer Corona – Impfung”?  Für Kommunikationsspezialisten ist die persönliche Interaktion am wirksamsten, ist aber gleichzeitig nicht massentauglich. Wie wir aus der Geschichte wissen und was heutige Social-Media bewirken muss es noch eine andere Art von Kopplung geben. Ein Symbol ersetzt die komplexen Kopplungen und integriert Daten und Code zu einem leicht verständlichen Inhalt, der dann zuverlässigen zu Handlungen führt (Abbildung 4C). Solche Symbole wären Personen, Geld, Halbmond, Kreuz, usw. Wie zeigt sich nun die Wirkung symbolischer Kommunikation?  Anhand von Personen die Macht repräsentieren wird Handeln und Erleben gut sichtbar.

In Abbildung 4D wird der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un als Symbol für Macht dargestellt. Wahrscheinlich hat er auch die Macht, muss aber nicht sein. Seine Person könnte nur als Symbol herangezogen werden und die Macht läge woanders. Betrachten wir nun, wie Macht wirkt und spannen das Symbol zwischen EGO und ALTER ein. Dem eigenen Erleben, dem eigen Handeln und dem Erleben anderer, dem Handeln anderer. 

Das Handeln im Erleben anderer: Wenn wir erleben, wie andere Menschen unter der Macht eines Diktators leiden sind wir eher bereit zu Helfen und dafür zu Spenden. Es könnte den Hunger lindern und so die Macht reduzieren.

Das Handeln im Handeln anderer: Der Machthaber setzt seinen Willen mit Gewalt durch. Solche Bilder gehen schon einmal um die Welt. In Regimekritikern wächst die Bereitschaft ebenfalls Gewalt anzuwenden. Das wird dann vom Machthaber als Terrorismus verstanden und mit noch mehr Gewalt bekämpft. 

Das Erleben im Erleben anderer: Menschen, die unter dem Einfluss der Macht eines anderen stehen haben oftmals nicht das Notwendigste zum Leben. Hunger, Armut, Vergewaltigung und Kinderarbeit sind die Folgen. Wir können uns in das Schicksal dieser Menschen gut hineinversetzen und haben Mitleid

Das Erleben im Handeln anderer: Menschen müssen sich an die Forderungen der Mächtigen halten ansonsten gibt es drakonische Strafen. Frauenrechte entsprechen oftmals nicht den allgemeinen Menschenrechten. Islamische Diktaturen verlangen von Frauen das Tragen einer Burka. Wir empfinden das als massive Einschränkung der Freiheitsrechte und erleben das als Unterdrückung.

Symbolische Kommunikation muss nicht immer zu Gewalt führen, sondern kann auch harmlos sein. Die Star-Astrologin Gerda Rogers ist in Österreich das Symbol für Astrologie. Ihre täglichen Horoskope sind meist auf ein positives Leben ausgerichtet. Sie erreicht damit 60% der Bevölkerung aber nur 2% richten ihr Handeln definitiv danach aus. In der aktuellen Corona Situation hat sich Herbert Kickl von der FPÖ als Symbol für Impfgegner entwickelt. Sobald der Politiker etwas sagt, findet es bei seinen Anhängern unreflektiert Anschluss. Genau das aber hängt von der psychischen Struktur der Menschen ab. Die Psyche entscheidet letztendlich, ob es zu Erleben und Handeln kommen kann.

Psyche:

Kommunikation und Psyche sind zwei Systeme die auch gleichzeitig Umwelt für das jeweils andere sind. Luhmann verwendet die beiden Begriffe Psyche und Bewusstsein synonym, obwohl es erhebliche Unterschiede gibt. Psychologische Vorgänge verlaufen größtenteils unbewusst und nur wenige unserer Gehirnaktivitäten werden uns bewusst. Ob eine Kommunikation Anschluss findet oder nicht kann sowohl bewusst als auch unbewusst geschehen.

Das psychische System mit dessen basalen Elementen, den Gedanken, ist ein autopoietisches, geschlossenes System in der Umwelt der Kommunikation, wobei das Gehirn nur Umweltbedingung ist und nicht denkt (Abbildung 5A). Bedingt durch die Autopoiese können nur Gedanken neue Gedanken erzeugen. Zu einem Zeitpunkt existiert nur ein Gedanke, der nach kurzem wieder verblasst. Beschäftigen wir uns nun gedanklich mit eben diesem Gedanken so haben wir in dem kurzen Moment Bewusstsein. Im Laufe der Zeit entsteht so eine irreversible Gedankenfolge. Es ist uns nicht möglich einen vergangenen Gedanken abzuändern. Sollte wir dennoch einen Gedanken korrigieren wollen, ist das schon wieder ein neuer Gedanke. 

Welche Gedanken möglich sind und woher sie kommen, hängt von der Struktur der Psyche ab.  Ähnlich wie schon bei der “Integrierten Informations Theorie -IIT” dargestellt, entspricht der aktuelle Zustand / Gedanke einer bestimmbaren Wahrscheinlichkeit von vorherigen Zuständen. Gedanken entspringen dem “Möglichkeitsraum des Denkbaren” und das ist die Struktur der Psyche. Der Denkraum ist bedingt durch das Endliche des Gehirns auch begrenzt.  Verbringen wir ⅔ des Tages denkend und ein Gedanke im Durchschnitt drei Sekunden dauert, hätten wir pro Tag ungefähr 20.000 Gedanken gedacht. Hochgerechnet auf eine statistische Lebenserwartung von siebzig Jahren wären das dann 500 Milliarden Gedanken. Je länger ein Leben und je schneller die Gedanken kommen umso mehr können es sein. Vergleichsweise brauchen elektronische Gehirne (KI) zur Erkennung eines Gesichtes nur eine Millisekunde. So ein System würde dann alle lebenden Menschen in nur zwölf Stunden identifiziert haben. Das ist für biologisch bedingte Systeme “denkunmöglich”. 

Das Denk-Mögliche ist beim Menschen weiters durch die sechs Sinne noch einmal beschränkt. Etwas zu denken was nicht den Modalitäten von sehen, hören, fühlen, …, entspricht ist nicht möglich. Dazu empfehle ich ein Gedankenexperiment: “Entwickeln Sie einen Gedanken, der nicht auf diesen Modalitäten aufsetzt”. Damit können auch die Prozesse des Psychischen gut erklärt werden. Jeder Gedanke kann eine Fremd- und / oder Eigenreferenz haben. So beobachtet ein neuer Gedanke einen Vorhergehenden und modifiziert diesen. Auch kann sich der Gedanke selbst beobachten, also selbstreferentiell sein und dadurch entwickeln. Meistens ist der Prozess ein sowohl als auch und kippt zwischen Fremd- und Selbstreferenz hin und her, ist also eine Weile lang bistabil. Gleichzeitig mit dessen Stabilisierung ist er abgeschlossen und bleibt der vergangen, irreversiblen Gedankenfolge erhalten. In Abbildung 45 ist die Entsprechung in der IIT dargestellt. Gedanken sind dort Minor-Komplexe die einzeln auftauchen, können aber bei Konzentration größere Strukturen bilden. Erst wenn mehrere Gedanken über größere Distanzen referenziert werden, entsteht Bewusstsein.

Abbildung 5

Gedanken können völlig freilaufend sein oder aber einem passiven oder aktiven Prozess unterworfen sein. Sehe ich mir einen spannenden Film an oder lese einen ebensolchen Roman so werden die Gedanken stringent hindurchgeführt. An etwas anderes Denken können ist dabei eher die Ausnahme. Aktive Gedanken entstehen beim Schreiben eines Textes, beim Malen oder beim Videoschnitt. Da gibt ein Gedanke den anderen, häufig unbewusst und eben autopoietisch.

Eine besondere Gedankenfolge sind Träume. Nach einem bewusstlosen Schlaf, dem REM Schlaf energetisiert sich das Gehirn zusehends. Dabei tauchen aus Erfahrungen zufällige und nicht zusammengehörige Gedanken auf. Nach IIT integriert das Gehirn die einzelnen Sequenzen zu einer Story. Manchmal sind diese gemessen am Wachbewusstsein verständlich, ein anderes Mal grotesk. Dem Informationssystem ist es wichtiger zu integrieren als was Sinnvolles zu generieren. Der Zugang zu Denken und Bewusstsein gemäß IIT entspricht auch einem System, allerdings mit dem Unterschied das die Basiseinheit die Information ist.    

Im Zusammenwirken mit der Kommunikation ist es die Psyche, die über ein Verstehen und dem Anschluss entscheidet. Wie bei allen Systemen sind es das Programm und die binäre Codierung. Sollte uns eine Kommunikation erst einmal erreichen und wir den geeigneten Decoder haben liegt es am Binärsystem, ob wir das verstanden oder nicht verstanden haben. Dementsprechend findet Kommunikation Anschluss oder Rückweisung. Haben wir einmal etwas verstanden, dann läuft die Kommunikation weiter ohne, dass sie weiß, ob wir den Gedanken internalisiert haben (Abbildung 6A). Es sollte auch vorkommen, dass wir etwas nur verzögert verstehen, also Nachdenken müssen. Ein Akteur kann sich nie sicher sein, ob wir das Verstandene auch in unsere Gedankenwelt integriert habe. Die Psyche hat eine extrem starke Firewall, wenn wir das wollen.

Abbildung 6

Nur durch Beobachten von beabsichtigt, evozierten Handlungen bekommt man einen Hinweis auf Internalisierung. Trotzdem reagieren Menschen auf die Aufforderung: “Bitte Platz nehmen” höchst unterschiedlich. Man würde erwarten, dass sich Besagter hinsetzt, er aber läuft völlig verärgert davon. Erwartet haben wir das eine und geschehen ist das Unerwartete. Warum? Weil die Psyche keine triviale Maschine ist (Abbildung 6B).

Ein trivialer Mechanismus, er mag kompliziert sein liefert bei gleichem Input immer denselben Output, ist äußerst zuverlässig. Im Gegensatz dazu neigen nichttriviale Maschinen zu unberechenbaren Verhalten, sind also komplex. Der Output solcher Mechanismen hängt neben dem Input auch noch von dessen augenblicklichen internem Zustand ab. Genau sowas ist die menschliche Psyche. Intern sind es die gerade aktuellen Gedanken und Gefühle die Handlungen maßgeblich beeinflussen.

Menschen sind umso unberechenbarer je intensiver der aktuelle Zustand erlebt wird. Umgekehrt wenn der Moment nicht so stark auf das Handeln abfärbt, sind sie berechenbarer und nicht so affektiv. In der Psychologie wird dann zwischen stabilen und labilen Persönlichkeiten unterschieden. Weil die Psyche ein geschlossenes System ist, sind Sprachtherapien von wenig Erfolg gesäumt. Autopoietische System verändern sich hauptsächlich durch irritierende /störende Signale aus der Umwelt. Auch das ist keine Therapieempfehlung, weil man erstens nicht weiß, was zu einer Störung führt und zweitens man auch die Reaktion nicht kennt. In Gesellschaftssystemen, so wie jetzt durch Corona geprägt, haben Politiker auch keinen Plan. So wird über Versuch und Irrtum herausgefunden, wie man dem Problem am besten gerecht wird. Solche gewollten Störungen können aber ganz schön nach hinten los gehen. Auch hier der Unterschied zwischen labileren und stabileren Gesellschaften. 

Einen kleinen, aber manchmal existentiellen Unterschied macht es, ob der Gedanke auf Gegenstände oder auf Empfindungen referenziert. JA – auch Empfindungen sind nichts anderes als Gedanken. Schmerzen spüren wir zwar dort, wo sie auftreten, werden aber im Gehirn erzeugt. Wenn es durch einen Bandscheibenvorfall zu einer Verletzung der Nervenstränge kommt, spüren wir die Schmerzen z.B. im Knie, wo definitiv keine Verletzung vorliegt. Das Gehirn hat fehlerhafte Signale erhalten und dementsprechend verarbeitet. 

Abbildung 7

Wie in Abbildung 7A noch einmal dargestellt sind Gedanken auch gleichzeitig Beobachter. Referenziert ein Gedanke auf einen oder mehrere Andere so dürfen wir von einem “Bewussten Gedanken” sprechen. Eine “Bewusste Empfindung ist dann die Referenz auf einen empfindsamen Gedanken.  Entwickelt sich ein Denken auf Basis von gegenständlichen und empfindsamen Gedanken wird man das als Erleben bezeichnen. In Erinnerung bleiben davon irreversible, nicht wiederholbare und nicht zu löschende Erfahrungen. Eine gute Basis für neue Gedanken, auch wenn es eine negative Erfahrung war. Ähnlich wie bei der Kommunikation kann bewusst / unbewusst und gegenständlich / empfindlich in einem Diagramm dargestellt werden (Abbildung 7B)

Bewusst – Gegenständlich: Wenn wir an etwas Gegenständliches denken, so kann das sowohl Angst als auch Freude auslösen und wird bewusst. Der Anblick einer auf uns gerichteten Pistole macht uns sofort bewusst, dass unser Leben in Gefahr ist.

Bewusst – Empfindlich:  Empfindsame Gedanke nehmen den Raum von Lust bis Leid ein. Ein mit beiden Händen formiertes Herz mit der Sonne im Hintergrund könnte ein bewusstes Empfinden unserer ersten Liebe hervorrufen.

Unbewusst – Gegenständlich: Der Großteil unserer Gedankenwelt liegt im Unbewussten. Bestes Beispiel dafür ist das Autofahren. Wir fahren, halten alle Verkehrsregeln ein, reagieren auf Verkehrsampeln und das alles unbewusst. Erst eine Störung (spielende Kinder) lässt uns erwachen.

Unbewusst – Empfindlich: Hier liegt wohl der größte Schatz begraben. Unser Körper liefert andauernd Gedanken über das momentane Empfinden. Oftmals ist es nicht leicht an diese heranzukommen. Mit Praktiken des Embodiment und der Meditation könne diese Schätze gehoben werden.

Sofern man die Fachbegriffe der Systemtheorie gelernt hat und ihnen eine Bedeutung zuschreiben kann, hat man auch fünfzig Jahre nach Luhmann ein probates Analysetool für Systeme. Trotzdem, die Zeit ist nicht stillgestanden. Es haben sich System wie das Digitale entwickelt, die in der Luhmann’schen Literatur keine Entsprechung finden. Die Kommunikation hat sich durch Social-Media dramatisch verändert. Gelten dann noch die systemtheoretischen Überlegungen aus den achtziger Jahren? Insbesondere die Erfolge der Neurowissenschaften erfordern ein Überdenken des “Bewusstsein”, obwohl den Systemcharakter wird es auch danach noch haben. So wie eigentlich alles, stellt die Wellentheorie der Quantenmechanik auch die Systemtheorie in Frage. In späteren Kapiteln wird darauf näher eingegangen. 

An dieser Stelle hat das vorliegende Buch einen Breakpoint. Vergangene Gedanke sind schon zu einer strukturierten Gedankenfolge geworden. Das schreibe ich gerad jetzt.  Zukünftige Gedanken müssen erst strukturiert werden. Lesen, zeichnen, schreiben und Rückmeldungen der Leser helfen mir dabei. Jede Zukunft wird auch ein Jetzt haben und dabei immer einen Unterschied erzeugen – würde möglicherweise Luhmann sagen.

Erkenntnisse:

Ein Beobachter kann entweder ein WAS oder ein WIE sehen

Paradoxons lassen sich entparadoxieren; Zeit, Ebene, Raum.

Kommunikation muss anschlussfähig sein.

Kommunikation generiert Erleben und Handeln.

Gedanken entstehen im strukturierten Möglichkeitsraum

Die Psyche ist ein „nicht trivialer“ Mechanismus

UDEMY Kurs: Bewusstsein und das Künstliche

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