Bewusstsein 2.0 – Teil 4

Aus neurowissenschaftlicher Sicht kann man sich heute ganz gut vorstellen, dass Bewusstsein im Gehirn existiert und man nicht zusätzlich irgendetwas von außerhalb dazu benötigt. Aus philosophischer Sicht wäre dann Bewusstsein eine Substanz mit folgenden drei Grundeigenschaften. Als erstes die Bewusstseinsinhalte – also woran man gerade denkt. Zweitens die Bewusstseinszustände – wie man gerade denkt. Dazu gehört das bewusste und unbewusste Denken, die Träume, das Koma, usw. Drittens wird nicht mehr die Frage gestellt, ob ein Wesen Bewusstsein hat oder nicht, sondern eher darüber diskutiert auf welcher Stufe sich dessen Bewusstsein befindet. Bewusstseinsstufenkonzepte wurden in der Vergangenheit sehr viele entwickelt. Ein neueres und sehr einfaches kommt von Michio Kaku. In der Stufe eins erkennt ein Wesen seine Position im Raum. Es ist damit in der Lage sich zielorientiert zu bewegen und nach Nahrung zu suchen. Auf der Stufe zwei ist ein Wesen in der Lage soziale Interaktion einzugehen und damit ein soziales Wesen zu schaffen. Gute Beispiele dafür sind Bienen, Vögel- und Fischschwärme, Termiten, usw.  Die dritte Stufe beschreibt die Fähigkeit Zukunft vorauszusagen. Auf dieser Stufe ist derzeit und nach heutigem Wissen der Mensch,der in der Lage ist für sich selber im Voraus zu planen. Diese Stufe hat ein Wesen erreicht, wenn es Witze versteht.

Die Erforschung des Bewusstseins ist in den letzten 300 Jahren ziemlich still gestanden. Es war die von René Descartes heraufbeschworene Körper-/Geist-Trennung. Man hat akzeptiert, dass Geist etwas Göttliches und dem Menschen nicht ursächlich zugänglich ist. Erst in den 1950er Jahren ist Bewegung in die naturwissenschaftliche Untersuchung von Geist gekommen. Es war der Behaviorismuss der besagt, dass man Bewusstsein über das beobachtete Verhalten erkennen kann. Diese Methodik ist heute wieder anerkannt und läuft unter dem Begriff „Third Person Account“. Durch Beobachtung und Experimente werden die Eigenschaften einer bestimmten Substanz, also in diesem Fall Bewusstsein, erarbeitet. Neu ist dabei, dass heute nicht mehr nur äußerliches Verhalten beobachtet wird, sondern auch die Neuronen-Aktivitäten im Gehirn gemessen werden. Besonders interessant sind die bildgebenden Verfahren mit denen es möglich ist Gedanken bestimmten neuronalen Aktivitäten zuzuordnen. Durch den Einsatz von Computer-Visualisierungen und Simulationen ist es möglich besonders ausgefeilte Experimente anzuordnen. Insbesondere ist es möglich durch kurzzeitigen Bildwechsel (300ms) bewusste und unbewusste Wahrnehmung zu erforschen. Der „First Person Account“ beschreibt meine subjektive erlebte Welt. Diese ist einem Dritten nicht zugänglich. Wir haben damit aber auch keine zuverlässige objektive Beschreibung der Welt. Das was von René Descartes nach wie vor gilt, ist: „Ich denke also bin ich“. Ja – das ist das einzige was wir wirklich mit Sicherheit von der Welt behaupten können ist: „Bewusst zu sein“. Obwohl durch digitale Techniken es durchaus denkbar ist, dass auch dieser Satz noch in Frage gestellt wird. Nämlich dann, wenn der freie Wille nicht mehr so frei wirkt, wie es jetzt den Anschein macht.

Der Neurowissenschaftler Christof Koch ist gerade dabei den Nachweis zu erbringen, dass Bewusstsein ausschließlich neuronales Phänomen ist, welches im Neokortex entsteht. Das Großhirn ist etwa 5 mm dick und hat einen entfalteten Durchmesser von 50 cm. Je Kubikmilimeter sind darin 100.000 Neuronen, sowie 5 Kilometer Fasern und 1 Milliarde Synapsen enthalten. Genau dort entsteht Bewusstsein. Auf diesen Erkenntnissen basierend, kann man nun diskutieren, was alles für ein Bewusstsein notwendig ist und was nicht.

Notwendig für Bewusstsein: Es braucht ein komplexes, hochorganisiertes materielles System. Beim Menschen ist es das biologische Gehirn, mit 14 Milliarden Komponenten (Neuronen). Die einzelnen Komponenten müssen kommunikationsfähig, also vernetzt, sein (Axone und Dendriten). Die Vernetzung muss einer Small-World-Architektur entsprechen. Das heißt eine sehr starke lokale Vernetzung innerhalb der Neuronen-Säulen, sowie eine globale Vernetzung zu weit entfernten Gehirn-Arealen. Das System muss lernfähig sein. Im Gehirn erfolgt dies durch Wiederholung und Feedback wodurch einerseits neue Verbindungen entstehen und andererseits bestehende Verbindungen verstärkt oder gedämpft werden. Dies geschieht physiologisch in den Synapsen durch die Einstellung der sogenannten Synapsengewichte. Der Sprung vom Unbewussten in das Bewusste entsteht durch Rhythmus und Synchronisation. Die seit längerer Zeit bekannten Gehirnwellen führen je nach Frequenz zu bestimmten Bewusstseinserlebnissen. Zum Beispiel sind es die Alphawellen die für traumähnliche Zustände sorgen, sowie die Betawellen für das Tagesbewusstsein. Wahrscheinlich sind es Gehirnfrequenzen zwischen 40 und 100 Hz die für Bewusstsein sorgen. Das heißt, dass eine große Anzahl von Neuronen zeitgleich und mit gleicher Frequenz aktiv sein müssen. Dann sagt der Mensch: „Jetzt ist es mir bewusst geworden“. Zwischenzeitlich gibt es auch APPs zur Brainwave Simulation. Erzeugt werden diese über binaurale Töne. Nach einer gewissen Zeit des Zuhörens synchronisiert sich das Gehirn auf diese auditiv eingespielte Frequenz. 40 Hz Simulatoren gibt es auch, sind allerdings noch rar. Eigene Experimente können damit jederzeit gemacht werden. Diese haben auch keine bekannten Neben- oder Fernwirkungen. Persönlich verwende ich Mind Machines bereits seit 30 Jahren – UND sie wirken. Was ein Bewusstsein noch braucht sind Energie, ein Trägermaterial, Sensor-Neuronen und Actor-Neuronen. Bewusstsein ist damit an Materie gebunden und der Geist ist dann eine Emergenz aus den einzelnen Komponenten. Das Emergenz-Modell liegt zwischen den dualistischen und den monistischen Bewusstseinsvorstellungen.

Nicht notwendig für ein Bewusstsein: Am  Beispiel von Hirnverletzungen konnte gezeigt werden, was alles nicht notwendig ist um trotzdem bewusst zu sein. Dazu gehören körperliche Beweglichkeit, Sprache, Selbstbewusstsein, sehen, hören, usw. Eine Schädigung des gesamten Kleinhirns, mit etwa 80 Milliarden Neuronen, führt zwar zu empfindlichen körperlichen Behinderungen, aber Bewusstsein ist immer noch da. Gefühle und Langzeitgedächtnis sind auch nicht zwingend für ein Bewusstsein erforderlich.

Mit diesen Erkenntnissen ausgestattet kann man nun versuchen einige allgemeine Parameter für Bewusstsein zu definieren (Giulio Tooroni):

  • Die Existenz als Erfahrung → Ich bin
  • Die Struktur von Erfahrungen → Klassifizierung
  • Die Differenzierung von Erfahrungen → Erkennen
  • Die Integration von Erfahrungen → Episoden
  • Die Exclusivität von Erfahrungen → Situationen

Die Digitalisierung wird mit größter Wahrscheinlichkeit auch unser Bewusstsein nachhaltig verändern. Durch den Einsatz von 3D Virtual Reality wird sich der Raum massiv erweitern, was wiederum direkten Einfluss auf das Bewusstsein haben wird. Zusätzliche Aktoren und Sensoren werden unsere Erfahrungen auf bisher nicht bekannte Phänomene ausweiten. Sehr spekulativ – aber möglich – wären Sensoren die Signale außerhalb unserer Sinnessysteme empfangen (Ultraschall, UV-Licht, Radioaktivität). Dann hätte man wirklich eine Bewusstseinserweiterung.

Bewusstsein 2.0 - Folie 7

Das Internet und sein Bewusstsein: Diese Frage müsste man beantworten indem man feststellt auf welcher Bewusstseinsebene sich derzeit das globale Netz befindet und wie lange es dauert bis eine nächste Stufe erreicht wird. Im Jahr 2020 werden etwa 50 Milliarden Devices vernetzt sein. Als Aktoren und Sensoren stehen Menschen und IoTˋs gleichermaßen zur Verfügung. Als „Erkennendes“ entwickeln sich digitale neuronale Systeme. Dort findet auch Spracherkennung und sprechen statt. Um zu erkennen wie der Bewusstseinszustand des Internets ist, ist es dringend erforderlich über das menschliche Bewusstsein mehr zu erfahren um damit Vergleiche anstellen zu können.

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