Beziehung und Empathie als wesentliche Dimension der Spiritualität

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Ein soziologisches Grundgesetz heißt – je näher die Beziehung, umso schmerzvoller kann diese auch sein. Es verwundert daher nicht, dass sehr viele Beziehungstragödien im engeren Familienkreis und in der näheren Freundschaft passieren. Insbesondere wird immer wieder auf Männer verwiesen, die in Familienkreisen ihren Kindern und Frauen gegenüber gewalttätig werden. „Männer müssen ihre Sensibilität wieder entdecken und Bodhicitta, Bezogenheit, Liebe und Mitgefühl entwickeln, ohne dabei ihre Stärke zu unterdrücken. Frauen müssen vor allem ihre innere Kraft und Stärke wieder entdecken, ohne dabei ihre Feinfühligkeit zu verlieren.“ Spannbauer – Im Haus 126.

Diese beiden polaren Anforderungen sind schwierig zu realisieren. Nicht umsonst gestehen viele Männer ein Identitätsproblem ein und können ihre Rolle als Vater und Mann in der heutigen Zeit nur mehr schwierig realisieren. Offensichtlich schließen sie Stärke und Mitgefühl aus. Auch Frauen, die am Weg der Emanzipation Stärke entwickeln, haben das Problem dabei das Gefühl nicht zu verlieren. Wir müssen daher: „… unsere eigene Präsenz dafür einsetzen, um zu zeigen – nicht durch Worte, sondern dadurch, dass wir es persönlich verkörpern – dass es zeitgemäßer, gefragter und schlicht und ergreifend besser ist, ein gütiger rücksichtsvoller, kreativer Mensch statt ein Egozentriker zu sein.“ Nichtern – Buddhismus 103.

Asiatische Traditionen – wie eben der Buddhismus – lehrt seit Jahrhunderten einen sorgfältigen Umgang mit dem eigenen Ego. Im 20. Jh. waren es die hinduistischen Denker Osho und Maharshi, die den Weg vom Ego zum Selbst gelehrt haben. Natürlich ist jeder der 8 Mrd. Menschen etwas Besonderes. Die westliche Konsumgesellschaft und der Kapitalismus fördern diese Verhaltensweise überproportional. „Wenn so viele junge Menschen das Gefühl haben, sie seien etwas Besonderes und wichtiger als andere, verhalten sie sich weniger tolerant, sind weniger kritikfähig, können schlechter mit den unvermeidlichen Rückschlägen des Lebens umgehen und sind weniger in der Lage, ihren Mitmenschen gegenüber Empathie auszudrücken.“ Rifkin – Die empathische 413.

Eine empathische Fähigkeit ist die Grundlage für jede Beziehung. Mit anderen Worten, nur wer Einfühlungsvermögen hat, kommt vom Ego weg und kann sich auf den anderen besser konzentrieren. „Die mitfühlende Anteilnahme von TÜRKIS am Schicksal aller lebenden Wesen wird darauf dringen, dass der globale vernetzte Mensch ein neues mündiges Verhältnis zur Moral aufbaut und aufhört, sich in seinem Bezug auf kollektive Systeme von seinen irrationalen, egozentrischen Gefühlen leiten zu lassen.“ Küstenmacher – Gott 9.0 202.

In stammesgeschichtlichen alten Zeiten der Menschheit beschränkten sich die Anzahl der Beziehungen auf Mitglieder der eigenen Sippe. In einer globalen Welt, die durch Internet verbunden ist, können Menschen wesentlich mehr Beziehungen aufbauen. „Die Welt ist geschrumpft. In der virtuellen Welt des Cyberspace steht sich die Menschheit fast Auge in Auge gegenüber. Distanzen verlieren in der Ära der Globalisierung ihre Bedeutung.“ Rifkin Jeremy – Die empathische Zivilisation, Wege zu einem globalen Bewusstsein, Frankfurt am Main 2012, 316.

Theoretisch besteht die Möglichkeit, nahezu mit jedem Menschen Kontakt aufzunehmen. D. h. noch nicht, dass damit eine empathische Beziehung verbunden ist, aber der Kontakt zu anderen Kulturen lässt sehr leicht erstellen. Es kann auch sein… „…dass die empathischen Fähigkeiten wachsen, wenn Hunderte von Millionen Menschen ständig miteinander in Kontakt kommen. Das darf nicht unterschätzt werden. Neben der nahezu grenzenlosen Welt des globalen Marktplatzes ist ein beinahe grenzenloser sozialer Raum entstanden.“ Rifkin – Zivilisation 317.

Soziologische Untersuchungen basierend auf der Netzwerktheorie zeigen, dass: „…zwei einander völlig unbekannte Menschen nur durch die kurze Kette von sechs Bekanntschaftsbeziehungen voneinander getrennt – egal, wo und wie sie leben. Oder andersrum: Alle 6,8 Milliarden Menschen auf Erden sind durch eine Reihe von etwa sechs Personen miteinander verbunden, die sich jeweils direkt kennen.“ Rifkin – Die empathische 347.

Dadurch wird der soziale Schauplatz vom ehemaligen Dorf zur globalen Welt. Hinderlich daran ist immer noch die globale Vielsprachigkeit, aber auch hier verspüren wir den Trend zu einer Einheitssprache. Menschen, die in irgendeinem Zusammenhang mit globaler Produktion stehen, müssen die englische Sprache beherrschen. „Wenn nun aber mehr und mehr Menschen in einer Weltsprache miteinander kommunizieren können, vergrößert sich das Potenzial für dieses Bewusstsein sprunghaft.“ Rifkin – Die empathische 331.

Die Advaita Vedanta als solche, deutet ebenfalls schon so eine Non-Dualität an, wobei auch gemeint sein kann, dass alles mit allem zusammenhängt. Menschen, die in dieser globalen Beziehung leben, erfahren wesentlich leichter diese Einheit, als andere, die in kleinen lokalen Gegebenheiten leben. „Die wirkliche Ethik kommt aus der Erfahrung der Einheit. Wer die existenzielle Verbundenheit mit allem erfährt, kann nichts und niemanden aus seiner Liebe ausschließen. Dieser Mensch erlebt gleichsam am eigenen Leibe, was er den anderen Positives oder Negatives antut.“ Spannbauer – Im Haus 152.

Eine Gegenströmung zur globalen Empathie sind materialistische und marktwirtschaftliche Strömungen. Je mehr sich ein Mensch selber leisten kann, umso weniger ist er auf die Hilfe seiner Mitmenschen angewiesen. „Stark materialistisch orientierte Menschen entwickeln weniger wahrscheinlich enge persönliche Beziehungen. Sie sind ihren Mitmenschen gegenüber intoleranter und kümmern sich weniger um deren Wohlergehen.“ Rifkin – Die empathische 368.

In historischen Zeiten war es den Menschen aufgrund ihrer Nähebeziehung zu anderen relativ leicht möglich, Gefühle auszutauschen – zu erkennen ob der andere Probleme hat und dementsprechend zu reagieren. Die globalisierte Welt entwickelt ein ungeheures Geflecht von Beziehungen. Von seiner genetischen Veranlagung her ist der Mensch in der Lage nur eine kleine Anzahl von Beziehungen wirklich erfüllt zu leben. Wir haben aber noch keine Erfahrung, wie sich eine globale Gesellschaft auf der Beziehungsebene entwickelt. „Die Hauptschwierigkeit dabei, die gegenseitige Abhängigkeit auf globaler Ebene zu erkennen, besteht darin, dass wir uns nur schwer die Auswirkungen vorstellen können, die unsere individuellen Handlungen auf Menschen haben, denen wir vermutlich niemals begegnen werden, die wir nie berühren und mit denen wir nie unsere Privatsphäre teilen werden.“ Nichtern – Buddhismus 59.

Alle großen religiösen Traditionen haben mehr oder weniger starke Gesetze und Vorschriften, die auf Beziehung und Familie einwirken. Erst im Zuge der europäischen Säkularisierung haben die Religionen diesen Anspruch verloren. Übrig geblieben sind die Menschenrechte, die nicht hoch genug zu schätzen sind, die aber keinen spirituellen Teil dazu beitragen. Es muss also… „…eine Religion überzeugend aufweisen, dass sie in der Lage ist, diesem modernen Selbstverständnis der Gleichheit der Geschlechter in allen Bereichen der Religionsgemeinschaft Rechnung zu tragen, in den institutionellen und spirituellen Aspekten, bei der Auffassung der Familie und bei den Rechten der Frauen in der Öffentlichkeit.“ Bader – Weltethos 146.

Religionen in säkularen Staaten haben zwar noch ihre alte Tradition, allerdings nimmt sie keiner ernst. Fundamentalistische Religionsgemeinschaften übersehen die humanen Errungenschaften der Menschenrechte. Es ist also notwendig, dass … „In allen Ländern und Kulturen auf ökonomische und gesellschaftliche Verhältnisse hingearbeitet wird, die eine menschliche Existenz von Ehe und Familie, aber auch der alten Menschen, ermöglichen.“ Bader – Weltethos 184.

In diesem Zusammenhang haben alle Religionsgemeinschaften einen dringenden Handlungsbedarf. Das Christentum kennt als wesentliche Dimension der Beziehung, die Liebe. Die Liebe zu sich selber, zu anderen und zu Gott. „Liebe im spirituellen Sinne ist gleichbedeutend mit Verbundenheit und ist damit der ursprüngliche Bewusstseinszustand aller Wesen, die im kosmischen Bewusstsein verbunden sind. Diese Liebe stellt keine Bedingungen und ist – jenseits unserer Wahrnehmungsfilter – immer vorhanden.“ Starkmuth – Die Entstehung 300.

Wenn Liebe in diesem Sinne gemeint ist, so finden wir in allen großen Weltreligionen die entsprechenden Äquivalente. Beziehung und Empathie gehen offensichtlich in einer stark materialisierten, ego-bezogenen Welt zurück. Wahrscheinlich sind damit viele Probleme der Globalisierung verbunden, zumindest werden sie dadurch nicht gelindert. Erst, wenn Empathie für globale Beziehungen gelernt wird, bekommen Menschen ein Gespür für den globalen Nachbarn. Auch eigene Handlungen, die sich anderswo auf der Welt negativ auf Menschen auswirken, werden mit mehr Rücksicht durchgeführt.

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