Glauben und Angst

A Prayer for Mad Sweeney – Kultur entscheidet über Moral

American Gods ist eine Serie, die wie kaum eine andere, die kulturelle Entwicklung Nordamerikas darstellt. Wie in meinem letzten Blog schon angesprochen, sind Götter eine Konstruktion des Menschen. Sofern diese sozialisiert ist, spricht man dann von einer Religion.  In den letzten 10.000 Jahren der Menschheitsgeschichte haben die Religionen jedwede Kultur geprägt. In “A Prayer for Mad Sweeney” wird nun das Thema Kultur explizit behandelt. Ein kleines Mädchen namens Essie McGowan, aus Irland, sitzt mit ihrer Großmutter am Strand und wartet auf das Schiff ihres Vaters. Während dieser endlosen Wartezeiten erzählt die Granny alte Geschichten von Feen und Kobolden. Diese Geschichten beeindrucken das Mädchen so sehr, dass es fest an die Existenz von Kobolden glaubt. Essie richtet ihr gesamtes Leben dann danach aus. Obwohl das Schicksal es nicht nur gut mit ihr meint – landet im Gefängnis und wird nach Amerika deportiert – ist sie überzeugt, dass die Kobolde ihr immer wieder Glück gebracht haben. Alles in allem dürfte das stimmen. Letztendlich ist sie Plantagenbesitzerin mit drei Kindern, denen sie wieder die Geschichten der alten irischen Kobolde erzählt. Im Folgenden die zwanzig wichtigen Thesen über Kulturen, dessen Entstehung, Verbreitung und Wirkmächtigkeit. Ich werde diese jeweils mit Beispielen aus der Serie pointieren.

 

American Gods 1.7

 

  1. Unter Kultur versteht man geteilte und gemeinsame Wertvorstellung.
    Irland im 18 Jhd. war ein zutiefst christliches Land. Die katholische Kirche war absolut und bestimmend für die Kultur. Der soziale Druck daraus war enorm hoch. Aber nicht alles konnte die Kirche erklären, es gab darüber hinaus immer noch “was”. Dafür wurden dann Kobolde und Feen aus der heidnischen Zeit herbeigeholt. Die Großmutter: “Diese Leprechauns sind so damit beschäftigt Gold zu raffen und zu horten, dass sie für nichts anderes mehr Zeit finden können”.
  2. Aus diesen gemeinsamen Werten leiten sich Verhaltensweisen ab.
    Leprechauns musste man trotzdem bei Laune halten. Essie zu den Kindern: “An einem Tag helfen sie euch und am nächsten beißen sie euch die Augen aus”. Sie müssen daher täglich gefüttert werden. “Gebt ihnen von der Milch die Sahne und vom Brot das Beste”.
  3. Diese Verhalten werden im Laufe der Zeit zum “Normalen” – die Norm.
    Daher stellte Essie, so wie alle ihre Vorfahren, täglich eine kleine Schale Sahne und ein Stück Brot aufs Fenster. Wenn sie ausging, hatte sie immer Salz in der Tasche und für besondere Wünsche nahmen die Kobolde auch Gold. Man brauchte also immer ein wenig Reserven.
  4. Menschen, die solchem Verhalten entsprechen, gehören zu diesem Kulturkreis.
    Wahrscheinlich war im damaligen Europa der Glaube an Geistwesen (Engel, Feen, Kobolde, Teufeln, usw.) weit verbreitet. Viele damit verbundene Tätigkeiten mussten im Geheimen bleiben. Erst wenn eine Wertvorstellung mehrheitsfähig ist, können die dazugehörigen Verhalten auch öffentlich gezeigt werden. Aktuell der weltweite Kampf um die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen.
  5. Das nicht Einhalten von Verhalten wird von der Gruppe sanktioniert.
    Um hier anzuschließen, kann Homosexualität in einem Land zur Todesstrafe führen. In einem anderen nicht einmal beachtet (Salim mit dem Jinn in Amerika) oder wie Heterosex behandelt werden – vollkommene rechtliche Gleichstellung. Essie landete wegen eines Vergehens, das sie gar nicht begangen hat, in einem Gefängnis. Allerdings war das Gerichtsurteil milde. Für eine geschenkte und dann als gestohlen deklarierte Halskette wurde sie eben nicht gehängt, sondern nach Amerika deportiert. Hier spürt man schon die Kraft der Leprechauns. Unglück bei der Schuldzuweisung und Glück bei der Überfahrt. Sie machte sich an den Kapitän heran, der sie im Handumdrehen gleich wieder mit heim nahm.
  6. Moral und Werte genauso wie Gut und Böse sind damit kulturabhängig.
    Sexualität ist eine Verhaltensweise, die allen Menschen über Jahrtausende hinweg zu zeigen ist. Es ist daher auch klar, warum Religionen sich dessen als Kontrollinstrument angenommen haben. In säkularen Ländern ist daher auch eine Gleichstellung leichter durchzusetzen. Oft sind es dieselben Verhaltensweisen, die in einer Kultur Gut und in einer anderen als Böse bezeichnet werden.
  7. Die Bewertung erfolgt durch einen außenstehenden Beobachter.
    Salim, Mad Sweeney und Laura sind unterwegs nach Kentucky. Da fahren drei Kulturen in einem Auto. Die Irische, die Islamische und die Amerikanische. Salim hält immer wieder an, um täglich seine fünf Gebete zu verrichten. Während Salim den Teppich auflegt, sagt Sweeney zu ihm: “Ich gehe Pissen”. Das ist wohl das Schlimmste, was man zu einem betenden Muslim sagen kann.  Der Wert, von z.B. Gebeten, ist vom Beobachter abhängig. Für Sweeney ist es völlig unnütze Zeitvergeudung. Für Laura, die fragt: “Liebst du deinen Gott oder bist du in ihn verliebt”, geht es um das intellektuelle Verständnis dafür.
  8. Das Urteil hängt von dessen eigener Norm- und Wertbindung ab.
    Als Außenstehender kommt man auch immer aus einem Kulturkreis. Selbst unvoreingenommene Anthropologen gehören zu einer Glaubensgemeinschaft, nämlich der der Wissenschaftler. Shadow Moon war der Mann von außen. Dies allerdings nur so lange, bis er freiwillig, gezwungen sich Wednesday anschloss und die Götterwelt kennenlernte.
  9. Menschen sind freiwillige Angehörige – bewusst oder unbewusst.
    Hier kommt der freie Wille ins Spiel. Können Menschen überhaupt etwas freiwillig machen? Essie ist da in etwas hineingeraten. Sie wurde zur Trickdiebin, weil das Leben der Leprechauns auch nur Trickserei war. Wahrscheinlich hat sie dieses Verhalten zum Teil sogar unbewusst (von Granny) übernommen. Auch bewusste Entscheidung, sich einer Gruppierung anzuschließen, sind immer durch das sozialisierende Umfeld beeinflusst. Eltern, Lehrer und Freunde hinterlassen Imprints – den Stempel für die Kultur. Lauras Weg ins Casino und zur Kriminellen hat in Irland begonnen, obwohl sie mit Essie nicht verwandt ist (wahrscheinlich).
  10. Menschen sind in eine Kultur gezwungen – direkt oder indirekt.
    Die Herkunft bestimmt die Zukunft. Als Kind ist man in die Kultur seiner Eltern hineingeboren. Dort ist vorerst alles gut und richtig. Wenn wir dann Erwachsen sind, könnten wir uns anders entscheiden. Die wenigsten tun das. Amerikas Immigranten waren solche Gezwungenen. Einerseits die Sklaven ganz direkt und andererseits die Deportierten indirekt, wozu auch Essie gehörte. Sie hatte, wie alle anderen, ihre Kultur mit. Die amerikanische Kultur ist jetzt das, was aus diesen vielen Kräften geworden ist. Essie: “In Amerika kann jeder alles – dort kann man glücklich sein”.
  11. Kulturgrenzen (Kontexte) können territoriale oder inhaltliche sein.
    Jahrtausende waren Kulturen an Territorien gebunden. Erst mit der Kolonialisierung und der damit verbundenen Missionierung änderte sich das. In Nordamerika ist von den Natur Göttern nahezu nichts übrig geblieben. Inhaltliche Grenzen bedürfen einer erweiterten Kommunikationsform, wie z.B. Bücher. Neil Gaiman Anhänger können über die ganze Welt verstreut sein und haben nie miteinander gesprochen.
  12. Die Globalisierung führt zu virtuellen Kulturen und Zugehörigkeiten.
    Über die ganze Welt verstreut zu sein und trotzdem miteinander zu reden, das führt zu kulturellen Netzen. Man ist über FB oder WhatsApp-Gruppen miteinander in Verbindung. Gleiche Werte und gleiches Verhalten sind auch für virtuelle Kulturen Voraussetzung und das ausschlaggebende Merkmal. Weil der territoriale Bezug fehlt und das Verhalten oft subtil ist, ist eine reale Zuordnung schwierig.
  13. Kulturen verbreiten sich durch Beziehung und Kommunikation.
    In ganz früher Evolutionsgeschichte haben Menschen durch Imitation voneinander gelernt. Tun Kleinkinder heute noch genauso. Beziehung ist dafür unbedingt erforderlich. Je intensiver diese, umso effektiver das darüber vermittelte Verhalten. Wenn also Sprache fehlt, dann ist Verhalten die Kommunikation. In Kontexten in den mehrsprachigen Kulturen aufeinandertreffen, passiert sowas.
  14. Migrationsbewegungen führen vorerst zu unvermengten und geteilten Kulturen.
    Meist trennt die Sprache zwei Kulturen und daraus entsteht zusätzlich noch eine räumliche Trennung. Verhaltensweisen vermischen sich kaum, Kulturen vermengen sich bei erster Berührung nur sehr wenig. Es bleiben, wenn sonst nichts geschieht, zwei geteilte Kulturen nebeneinander, so wie jetzt die arabischen Migranten und die Europäer. Im Amerika des 18. Jhdt. waren schon die verschiedensten Götter / Kulturen angekommen. Alles hatte was Gemeinsames. “Eine neue Heimat aufzubauen”.  Haben wir heute mit den afrikanisch / mexikanischen Einwanderern etwas Gemeinsames?
  15. Im Laufe der Zeit entstehen dann, Assimilation, Integration oder Isolation.
    Essie McGowan bekommt als alte Granny Besuch von einem Iren. Sie erkannte sofort, dass es sich um einen Leprechaun handelt, der sie holt. Kurz vor dem Sterben sagt er zu ihr: “In diesem Land hat niemand mehr Zeit für Magie”. Die irisch/keltische Kultur war damit assimiliert – gibt es in Amerika so nicht mehr. Anders die afrikanische Kultur, die zwar isoliert, aber immer noch existent ist. Als gut integriert darf man den Waffen Gott Vulcano sehen. Die Pistole fürs Kleine im Haushalt und dem Pentagon fürs Grobe auf der Welt.
  16. Subkulturen bleiben oft über Jahrhunderte bestehen.
    In Amerika existiert eine ganz außergewöhnliche kleine religiöse Subkultur – die Amische. Sie sind eine Religionsgemeinschaft basierend auf der christlichen Tradition, jedoch unter Ablehnung jeder technischen Entwicklung. Da hatte schon Czernobog keine Chance mit Traktoren und schon recht nicht der Technical Boy mit den Robotern. Zwischenzeitlich hat es einen hohen Stellenwert dieser Subkultur anzugehören. Könnte sich verbreiten!
  17. Je enger die Beziehungen, desto stärker die soziale Kontrolle – Angst.
    Kultur ist ein Bündel von Verhaltensweisen, die von den Mitgliedern zwingend eingehalten werden müssen. Mitglieder achten wechselseitig auf sich und sind umso effizienter dabei, je näher die Beziehung ist. Gut zu erkennen bei der Bewahrung der Keuschheit von islamische Mädchen durch ihre Brüder. Kontrolle kann auch instrumentalisiert werden, woraus dann sehr schnell Druck und Angst entsteht. Mad Sweeney kommt Laura Schadow so nahe, dass er genau die Goldmünze, hinter der er so intensive her ist, nicht nimmt, obwohl es leicht möglich wäre. Beziehung ist der eine Weg zur Macht; der Andere.
  18. Die Zuteilung oder Vorenthaltung von Ressourcen oder heutige “Accessrights” bringt den Mitgliedern Vorteile.
    Menschen sind immer Mitglieder einer Gruppe. Kann sein, dass sie es nicht wissen. Normalerweise sind die Vorteile “dabei zu sein” offensichtlich. Durch Geburt, Inauguration oder Mitgliedsbeitrag ist man dabei. Ewiges Leben war das Angebot der katholischen Kirchen und für deren Mitglieder. Für Ungläubige blieb nur mehr die Hölle. Vielen Menschen ist dieser Glaube und damit der Wert dafür abhanden gekommen. Die neue Göttin “Media” gibt Bequemlichkeit in allen Lagen. Man braucht nur seine persönlichen Daten bereitstellen und schon gehört man zu Community (FB, WhatsApp, usw…)
  19. Macht entsteht durch die Möglichkeit, den eigenen Willen mit oder ohne dessen Zustimmung, bei anderen durchzusetzen.
    Es sind die zwei Wege zur Macht; die Beziehung und die Vergabe von Ressourcen. Am besten beides zusammen, so wie es die “digitale Trinität” macht. Ein Account bei einem Social Media Provider ist bei Weitem nicht so tief und emotional, wie menschliche Beziehung, allerdings von einem Anbieter zum anderen zu wechseln ist auch schon schwierig. Dafür bekommen wir auch immer genau das, was wir brauchen. Produkte, Services und Freunde sind genau nach unserem Geschmack. Der “1-Click” Kaufknopf ist schnell gedrückt. So setzen die GAFA´s ihren Willen bei uns und bei Milliarden anderer durch und wachsen so zur Weltmacht.
  20. Sofern Menschen von der Richtigkeit des eigenen Handelns überzeugt sind, nehmen sie daraus resultierende Nachteile für anderer in Kauf – “Gehen über Leichen”.
    Zusammenfassend entsteht eine Kultur durch den Glauben mehrerer Menschen an gemeinsame Werte. Das wiederum drückt sich in Verhaltensweise aus, die dann als Kultur bezeichnet wird. Glaubensüberzeugungen können so stark werden, dass selbst das Eigen und das Leben von Mitmenschen nicht mehr sicher ist. Terroranschläge sind eine aktuelle Ausprägung davon. Eine Andere ist die Einwanderung der “alten Götter” nach Amerika und das war für die Natives viel Schlimmer.

So fahren Laura und Mad Sweeney im Eiswagen (ist für Tote besser) zu einem Gott, der Erfahrung in der Auferstehung von den Toten hat.

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