Die Auslegung von biblischen und religiösen Texten hat lange Tradition und wird von dem jeweiligen kulturellen Hintergrund durchgeführt. Bevor man an die Auslegung herangeht, sollte man sich über die grundlegende These dieser Texte Gedanken machen. Bibeltexte sind wahrscheinlich in Worte gefasste transzendente Erfahrungen (siehe Paulus) und sind daher mehrdimensional.

Für die Auslegung selbst kommen vier Alternativen in Frage:

Die textliche Auslegung stützt sich ausschließlich auf das geschriebene Wort und nimmt keine Rücksicht auf die damaligen kulturellen Gegebenheiten. Wenn es also heißt „ … der nehme sein Kreuz auf sich“, so ist das genauso zu verstehen und wird heute noch an manchen Wahlfahrtsorten praktiziert.

Die allegorische Auslegung versteht den Text eben in Allegorien und übersetzt diese auf das wahrscheinlich Gemeinte. Wenn es heißt „ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben“ dann ist natürlich nicht der tatsächliche Weingarten gemeint, sondern die Beziehung zwischen Jesus und seinen Anhängern.

Die paradoxe Auslegung bearbeitet Textstellen, die einander widersprechen, bzw. paradox sind. Der Inhalt ist nicht immer verständlich sondern hängt sehr stark von der Bewusstseinsebene der jeweiligen Kulturen ab.

Diese obigen Auslegungen sind intellektuell, hingegen:

die geistige Auslegung ist eine spirituelle und bedarf daher eines spirituellen Zuganges. Diese erschließt sich hauptsächlich durch die Meditation, das Gebet und die Kontemplation.

Bis herauf in die heutige Zeit wurde die Schrift kulturabhängig und sehr lokal begrenzt ausgelegt. Die römisch-katholische Kirche hat dabei offensichtlich das Machtmonopol. Die Auslegung konnte nur in dem Bewusstsein durchgeführt werden, das eben gerade vorhanden war. Nach Charles Graves war es die „absolutistische Wertehaltung“ die der Schrift die ausschließliche Autorität gab, also war die textliche Auslegung die einzig gültige Variante. Erst im letzten Jahrhundert hat sich eine „strategische“ Bewusstseinsstruktur entwickelt und damit beginnen auch die Fragen nach der Richtigkeit der Auslegung der Amtskirche. Noch größer wurden die Zweifel an dieser Richtigkeit durch das Phänomen der Globalisierung. Die Welt hat nunmehr viele Kontexte und Kulturen, die eine sehr unterschiedliche Auslegung zulassen. Die Gesellschaft ist demnach schon lange keine Stammesgesellschaft mehr, sondern ist multikulturell. Damit steht die Kirche vor einer ihrer größten Herausforderungen. Sie muss also zulassen, dass die Texte von verschiedenen Kulturen auch unterschiedlich gelesen und auf ihre Probleme bezogen werden. Ein Mensch aus Südamerika hat andere Bedürfnisse als ein reicher Europäer oder ein armer Afrikaner. Neben dem interreligiösen Dialog, den die Kirche zu führen hat, ist nunmehr ein innerer Dialog zu führen und zu erkennen, dass in einer pluralen Gesellschaft auch plurale Auslegungen möglich sind. Sofern die Evangelien Offenbarungen Gottes sind, so sind auch unterschiedliche Kontexte und kulturbezogene Auslegungen möglich und die Kirche muss zur Kenntnis nehmen, dass nicht mehr nur in Rom die Bibel interpretiert werden kann. Insbesondere sind viele geistige Auslegungen zu erwarten.

In heutigen modernen Wirtschaftsunternehmen ist ein Leben nach der Schrift ein völliges Tabuthema. Selbst Managementweisheiten kommen eher aus östlichen Religionen, als aus der eigenen Geschichte. Sofern es gelingen sollte hier eine Trendwende einzuführen, müssen Auslegungen erlaubt sein, die der heute anstehenden Problematik gewachsen sind.
Sollte sich die Menschheit entsprechend den Stufen von Charles Graves weiterentwickeln, so wird spirituelles Bewusstsein zumindest bis zur Jahrhundertwende Einzug halten. Die kürzliche Finanzwirtschaftskrise wurde noch auf sehr konventioneller Weise gelöst. Es wurde die Kontrolle verschärft und das Controlling intensiviert. Wahrscheinlich müssen wir uns in absehbarer Zukunft mit noch schwierigeren Krisen auseinandersetzen und diese können sicher nicht mehr mit konventionellen Mitteln gelöst werden. Wir sind also auch im Unternehmen gut beraten uns bereits heute mit spirituellen Ansätzen zur Lösung der komplexen und globalen Probleme auseinanderzusetzen.