Weltethos und Verantwortung in einer globalisierten Gesellschaft

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Im Zuge der Säkularisierung der westlichen Staaten sind die Grundwerte, ethisch und moralische Verpflichtungen immer mehr von den Religionen in die staatliche Obrigkeit gewechselt. Viele Menschen verspüren dadurch eine Leere und wissen nicht wo sie sich anhalten können. Die Diskussion um die Einführung eines Ethikunterrichtes anstelle der Religionsstunde ist ein Zeichen dafür. Die Frage, welche nunmehr die richtigen ethischen Werte sind, hat sich insbesondere Prof. Hans Küng in seinem Projekt Weltethos gestellt. Küng blickt dabei in die Zukunft und stellt sich die Frage, welche Verantwortung der globale Mensch im nächsten Jahrtausend zu tragen hat. „Es muss für das nächste Jahrtausend ein Weg gefunden werden in eine Gesellschaft, in der die Menschen gleiche Rechte besitzen und in Solidarität miteinander leben.“ Küng – Projekt 93.

Diese Forderung ist insofern schwierig zu realisieren, da wir ähnlich wie die Vielsprachigkeit auch eine große Anzahl von Traditionen meist mit religiösem Hintergrund haben. Neben dem Zusammenleben vieler Kulturen muss auch das Zusammenleben zwischen Männer und Frauen, Staat und Religion geregelt werden. „Es muss für das nächste Jahrtausend ein Weg gefunden werden in eine erneuerte Gemeinschaft von Männern und Frauen in Kirche und Gesellschaft, in der Frauen auf allen Ebenen einen gleichen Teil der Verantwortung tragen wie die Männer und in der sie ihren Gaben, Einsichten, Werte und Erfahrungen frei einbringen können…“ Küng – Projekt 94.

Dieser vorgeschlagene Weg wird zu vielen Konflikten führen, die möglichst auf friedlichem Wege gelöst werden. Leider haben dies die beiden großen Traditionen Christentum und Islam nicht geschafft. Vor allem deren Missionierungscharakter stellt hier ein großes Hindernis dar. „Es muss für das nächste Jahrtausend ein Weg gefunden werden in eine Gesellschaft, in der Friedensstiftung und die friedliche Lösung von Konflikten unterstützt werden, und in eine Gemeinschaft von Völkern, die solidarisch zum Wohl der anderen beitragen…“ Küng – Projekt 95.

Ein wesentlicher Schritt zu einem Weltethos bestand in der Einführung der Menschenrechte durch die UNO. Umstritten sind nach wie vor die einzelnen Dimensionen, die eine moderne Ethik beschreiben. Küng hat eben in seinem Projekt des Weltethos einige wesentliche Themen dazu zusammengefasst. Seine Kernaussage lautet, dass es einen Weltfrieden nur durch einen Religionsfrieden geben kann. Für die jeweiligen großen Traditionen wird es wichtig, von ihrer derzeitigen expliziten bzw. impliziten Position zu einer pluralen Religionsanschauung zu kommen (siehe Bild). Küng nennt Werte wie Familie, Würde, Gemeinschaft, Macht, Religionsfreiheit und Sorge für die Armen als wesentliche Punkte. In der Arbeit um das Weltethos: „…, entdeckten wir, dass die Dinge, die uns einen wichtiger sind als die Dinge, die uns trennen. Wir fanden, dass wir gemeinsam besitzen: …

  • eine Überzeugung von der fundamentalen Einheit der menschlichen Familie, von der Gleichheit und Würde aller Menschen;
  • ein Gefühl für die Unantastbarkeit des Einzelnen und seines Gewissens;
  • ein Gefühl für den Wert der menschlichen Gemeinschaft;
  • eine Erkenntnis, dass Macht nicht gleich Recht ist, dass menschliche Macht nicht sich selbst genügen kann und absolut ist;
  • der Glaube, dass Liebe, Mitleid, Selbstlosigkeit und die Kraft des Geistes und der inneren Wahrhaftigkeit letztlich größere Macht haben als Hass, Feindschaft und Eigeninteressen;
  • ein Gefühl der Verpflichtung, an der Seite der Armen und Bedrückten zu stehen gegen die Reichen und die Bedrücker;
  • tiefe Hoffnung, das letztlich das Gute siegen wird“

Küng – Projekt 89.

Weltethos und Verantwortung_Religiöser Pluralismus

Das Zusammenrücken der Welt aufgrund elektronischer Vernetzung und hochleistungsfähigen Verkehrssystemen macht uns die wechselseitigen unterschiedlichen Kulturen bewusst. „Der Zusammenbruch kultureller Schranken und das Zusammenleben von Angehörigen verschiedener ethnischer Identitäten haben Menschen aus früher getrennten und sogar zerstrittenen Kulturen zusammengebracht. Dadurch gewinnt das empathische Bewusstsein gewaltig an Spielraum.“ Rifkin – Die empathische 341.

Die nach wie vor bestehende Sichtweise von „Wir und die Anderen“ ist hier sehr hinderlich. Die Menschheit muss in einer globalen Welt zu einem kulturellen und spirituellen Wir zusammenwachsen. Es gibt immer wieder globale Ereignisse, die uns diese Wir-Identität gut aufzeigen. Dazu zählen Ereignisse, die weltweit und zur gleichen Zeit über die Medien transportiert werden. „Transnationale Medienereignisse, darunter Fußball-Weltmeisterschaften und Live-Konzerte, Fernseh-Kriege […] und Zeremonien (wie das Begräbnis von Lady Diana) haben dem Phänomen „Weltöffentlichkeit“, das bisher als rhetorische Akklamationsinstanz galt und sich nur schemenhaft ausgeprägt hatte, eine präzisere Gestalt verliehen – als die Gemeinschaft der Völker und virtuelles Weltgewissen. Leopold – Globalisierung 227.

Dieser Prozess bringt uns immer näher zusammen. Ähnlich wie in einem Dorf wissen wir über unsere Nachbarn, deren Probleme und Sorgen immer mehr Bescheid. Es sind „…drei globale Instrumentarien: die Atombombe, das Geld und … Äther“ Leopold – Globalisierung 125.

Wobei unter Äther wahrscheinlich die globale Kommunikation wie Fernsehen und Internet gemeint ist. Das Geld ist neben dem Internet wahrscheinlich das schnellste Medium. Allerdings ist dieses auf Gewinnmaximierung aus und trägt kaum einen Beitrag zu einer globalen Ethik. Was wir wirklich gemeinsam haben, sind die Bedrohungen wie Terrorismus, nukleare Gefahren, Umweltkatastrophen und gentechnische Experimente. Es stellt sich die Frage, ob es aus ethisch moralischen Gründen erlaubt ist, alles zu tun und zu entwickeln was technisch und wissenschaftlich machbar ist. Dafür bräuchten die Verantwortlichen und die einzelnen Menschen einen Pfad mit Planken, innerhalb derer wir uns bewegen können. Mit Gesetzen und Verordnungen wird das nicht möglich sein. Eine von allen Nationen und Menschen anerkannte Vereinbarung über Werte und Normen muss geschaffen werden. „Solange aber ein einheitlicher Menschenrechtskatalog nicht Akzeptanz auch in allen Kulturen und Religionsgemeinschaften gefunden hat und sanktionsfähiger Teil einer Weltgemeinschaftsordnung geworden ist, kann nur gedanklich von einem Ansatz der integralen Denk- und Bewusstseinsstruktur gesprochen werden.“ Leopold – Globalisierung 247.

Offensichtlich wird das heutige Wertesystem durch den Kapitalismus und durch die Finanzwelt bestimmt. Sogenannte Softfaktoren fließen in eine Unternehmensbewertung nicht ein und werden dadurch auch am Finanzmarktplatz der Börse nicht berücksichtigt. „Wenn die Menschheit es wirklich als erstrebenswert erkennt, in Gerechtigkeit und Frieden miteinander zu leben, in einer Natur, die intakt ist, dann ändert sich ihre Maximen und damit ändern sich auch die Gesetze…“ Bader – Weltethos 30.

Wahrscheinlich entwickelt sich ein derartiges Bewusstsein nicht von oben nach unten, sondern braucht eine kritische Masse von Menschen, die eine ähnliche oder gleiche Wertevorstellung haben. Die Kommunikation vom gleichen Gedankengut ist heute über das Internet möglich. Solitärgemeinschaften zu bestimmten Themen können sich sehr schnell und in großer Anzahl bilden. Am Beispiel der Brent Spa eine Ölbohrinsel, die Shell in den 80er Jahren im Atlantik versenken wollte, kann diese Macht bereits gezeigt werden. Shell hat den „Schrott“ dann auf legale Weise entsorgt. Ein ähnliches Solidarisierungssystem hat sich kürzlich im arabischen Frühling gezeigt. Hier waren es die „Social Media“ wie Facebook, über die sich Menschen solidarisch gegen die Machthaber stellten. „Globalisierung bedeutet letztendlich das Werden einer weltweiten Gemeinschaft aller Menschen – und vieles geht heute in diese Richtung; aber heute fehlt dazu noch das Wesentlichste, die gemeinsame ethische Grundorientierung.“ Bader – Weltethos 36.

Leider gibt es dazu außer dem Projekt von Prof. Küng wenige Ansätze. Zu erwähnen wäre hier die Arbeit des tibetanischen Religionsoberhauptes Dalai Lama, der sich unermüdlich um den Weltfrieden und um ein ethisch moralisches Zusammenleben bemüht. Die darin wichtigsten Kernbotschaften sind kein Spezifikum des Buddhismus, sondern gibt es in allen großen Weltreligionen. „Fünf große Gebote der Menschlichkeit, die zahllose Applikationen auch in Wirtschaft und Politik haben, gelten in allen großen Weltreligionen: 1. nicht töten; 2. nicht lügen; 3. nicht stehlen; 4. nicht Unzucht treiben; 5. die Eltern achten und die Kinder lieben.“ Bader – Weltethos 145.

Allerdings sind diese in den jeweiligen heiligen Büchern unterschiedlich, jedoch mit gleicher Aussage formuliert. Die Menschenrechte der UNO sind gewiss ein erster und wichtiger Ansatz. Leider werden diese von einzelnen, jedoch großen Staaten wie China und Russland oftmals nicht anerkannt und nicht integriert. Für einen wirklichen Weltethos ist es daher notwendig, diese Vereinbarungen als Verpflichtung für alle Staaten der Welt zu etablieren (siehe Bild). Darüber hinaus gilt es auch spirituelle und weitere ethisch moralische Werte als verbindlich zu erklären. Leider fehlt dazu eine Instanz, wie z. B . ein anerkanntes Weltparlament, welches diese umsetzen könnte. Der Weg vom nationalstaatlichen Gebilde hin zu einem einheitlichen Wesen ist vorgezeichnet und dieses globale Dorf braucht ähnlich wie es Stämme und Clans in der Urzeit hatten, eine gemeinsame Wertvorstellung. „Dazu braucht es viele integrale Denker, die weltweit zusammenarbeiten, um gemeinsam Probleme zu lösen wie den Schutz des Weltklimas, die Kontrolle der globalen Finanzsysteme, die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung ganzer Kontinente wie Afrika oder die Verankerung eines verbindlichen Weltethos als Ergänzung zu den Menschenrechten.“ Küstenmacher, Marion – Gott 9.0, Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird, Gütersloh 2010 195.

Wahrscheinlich ist das Weltethos eine der wichtigsten Dimensionen auf dem Weg zu einer globalen Spiritualität. Eine damit zusammenhängende Herausforderung liegt im Zurücktreten ethnozentrischer nationalstaatlicher Denkmuster. Dies kann umso besser gelingen, umso mehr die einzelnen Kulturen und Traditionen voneinander wissen. Medien und Internet können hier einen wichtigen Beitrag leisten.

Weltethos und Verantwortung_Weltverantwortung

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