Einssein und Non-Dualität als Kernelemente der indischen Religionen

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Spätestens seit Beginn der Neuzeit hat sich zumindest im westlichen Abendland die duale Philosophie durchgesetzt. Geist wird demzufolge getrennt von Materie gesehen und kann über Letztere nachdenken. Unbestritten ist das wissenschaftlich technisch erfolgreiche Modell der letzten 200 Jahre. Selbstverständlich ist nicht alles gut zu heißen. Selbst die friedliche Nutzung der Atomkraft ist äußerst fragwürdig. Im Gegensatz dazu haben östliche Traditionen und Philosophien schon etwa seit der Jahrtausendwende eine monistische Philosophie. Im Hinduismus war es Adi Shankara, der die Non-Dualität aus dem Veda heraus erarbeitet hat. Der technische Fortschritt zeigt uns wie klein die Welt ist und „…, dass sich die Welt immer rascher auf den Punkt zubewegt, an dem wir unser Einssein realisieren und niemanden mehr von ihm überzeugen müssen.“ Quarch – Unsere Welt 76.

Durchaus einen Beitrag dazu liefert die Weltraumfahrt, die uns den Planeten Erde in seiner Kleinheit und Zerbrechlichkeit zeigt. Bei diesem Anblick werden sich immer mehr Menschen ihrer Verantwortung bewusst: „Die Verantwortlichen der verschiedenen Weltregionen, Weltreligionen und Weltideologien sind aufgefordert, in globalen Zusammenhängen denken und handeln zu lernen“ Küng Hans – Projekt Weltethos. Auf dem Weg zu einer globalen Spiritualität, München/Zürich 1992, 53. Es wird nicht genügen in diesen Zusammenhängen zu denken, sondern die Menschheit wird auch gemeinsame und für alle verbindlichen Werte brauchen. Eine: „Ethik, wenn sie zum Wohle aller funktionieren soll, muss unteilbar sein. Die ungeteilte Welt braucht zunehmend das ungeteilte Ethos! Die postmoderne Menschheit braucht gemeinsame Werte.“ Küng – Projekt 57.

So stellt das Küng in seinem Projekt „Weltethos“ dar und liefert damit auch einen Beitrag zur Non-Dualität und findet, dass in allen großen Weltreligionen derartige Ansätze zu finden sind. Dies wird wahrscheinlich nicht ausreichen, weil sich Weltreligionen zum Großteil auf das Seelenheil des Menschen fokussieren und eben nicht oder zumindest noch nicht, die notwendige Ganzheitlichkeit darstellen. Es muss also: „… für das nächste Jahrtausend ein Weg gefunden werden in eine Gemeinschaft der Menschen mit allen Kreaturen, in der auch deren Recht und Integrität geachtet werden …“ Küng – Projekt 95.

Je mehr Achtsamkeit wir im alltäglichen Leben üben können, umso mehr wird uns die Ganzheitlichkeit und Non-Dualität bewusst. „Die Übung der Achtsamkeit unterstützt uns Menschen darin, die Trennung vom Ich und Welt zu überwinden und bringt uns in bewussten und intensiven Kontakt mit dem Leben.“ Spannbauer Christa – Im Haus der Weisheit, Spirituelle Lehrerinnen und Lehrer sprechen über ihre Visionen für unsere Zeit München 2008 12.

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Offensichtlich ist die enorme Ausprägung des Egos – wie es in der westlichen Welt ist – ein Problem, die Ganzheitlichkeit zu erkennen. Westliche Menschen werden von Geburt an zu einem zielorientierten selbstbewussten Menschen erzogen, der sich seiner Umwelt gegenübergestellt sieht und eben nicht mit ihr verbunden ist. Dies ist ganz klar der vorherrschenden Kultur zuzuordnen. Östliche Traditionen, insbesondere Hinduismus und Buddhismus versuchen seit Jahrhunderten das Ego zugunsten eines ganzheitlichen Denkens zurückzudrängen, allerdings spürt man auch dort gegenläufige Tendenzen, die von westlichem Konsumdenken beeinflusst sind: „Was wir wirklich brauchen, ist eine weitere Öffnung des Bewusstseins. Sie führt in eine non-duale Einheit, in der sich der Mensch als Gemeinschaftswesen erlebt. Bislang hält die Egostruktur ihn noch so in einer Abgetrenntheit gefangen, dass es ihm nicht möglich ist, sich seinen Mitmenschen wirklich verbunden zu fühlen.“ Spannbauer – Im Haus 151 Achtsamkeit und Mitgefühl.

Die Menschheit ist also nicht zuletzt aufgrund der globalen Probleme aufgefordert, ganzheitlich zu denken. Diese Aufforderung findet man heute sehr häufig und spiegelt auch Inhalte von Persönlichkeitsentwicklungsseminaren, bis hin zu Inhalten aus der Managementausbildung wieder. Intellektuell und strukturell verstehen das sehr viele Menschen. Die tiefere Umsetzung und ein wirklich ganzheitliches Leben sind eher vereinzelt zu finden.

Sofern wir in einem wohlsituierten Kontext leben, ist das Ganzheitlichkeitsproblem nicht so dringend. Menschen, die in armen Verhältnissen leben, haben dagegen völlig andere Sorgen, nämlich die des täglichen Lebens.

Techniker und Spezialisten sind derjenige Personenkreis, der Einzelprobleme in sehr komplexer und tiefer analytischer Weise verstehen kann: „Mystiker hingegen sehen ganz klar, dass wir alle zusammengehören – Menschen, Tiere, alle Lebewesen, der ganze Kosmos. Trennung ist nur Illusion, doch sie ist eine gefährliche Illusion.“ Spannbauer – Im Haus 100.

Insbesondere gibt es im Hinduismus Hinweise über die Problematik der Illusion, die dort als Maya bezeichnet wird. Alles was wir mit unseren Sinnen erleben und erfahren kommt aus einer Scheinwelt, das einzig Reale ist dort das Bewusstsein (Atman).

Wie bereits oben angeführt, hat die westliche Technologie nicht nur Nachteile, sondern bringt den Menschen auch Vorteile und sorgt auch für ein menschenwürdiges Leben. Insbesondere ist hier auf die Leistungen der Medizin verwiesen, deren Effizienz im Vergleich zu Schamanen nicht diskutierbar ist. Die Technik hat vor allem, was die Vernetzung über Internet und Fernsehen anbelangt, viel dazu beigetragen: „Das Eins werden der Menschheit – welches technisch so gut vorbereitet ist wie noch nie – bedarf nun absolut dringend der geistigen Verwirklichung. Den technischen Voraussetzungen für den positiven Weg der Menschheitsgeschichte steht allerdings eine negative Variante einer eventuellen Katastrophe der Welt in ungeahnten Ausmaßen gegenüber.“ Bader – Weltethos 30.

Wie bei allen bisherigen technischen Errungenschaften können diese sowohl zum Nutzen der Menschen, als auch zu dessen Nachteil eingesetzt werden.

Auch beim weltweiten Internet kann man bereits jetzt die beiden Ausprägungen spüren. Ganz besonders erkennen wir allerdings, dass das Internet die Welt sehr klein gemacht hat und wir erkennen: „…im Leben hängt alles mit allem zusammen. Wir sind alle miteinander in einem unausweichlichen Netz der Gegenseitigkeit gefangen und zu einem einzigen Gewand des Schicksals zusammengeknüpft.“ Nichtern Ethan – Buddhismus 3.0 – Spirituelle Vernetzung und globales Bewusstsein – Das Interdependence-Project Oberstdorf 2007 15.

Je höher der Vernetzungsgrad der Menschheit, umso mehr spüren wir die gegenseitige Abhängigkeit. Die jahrzehntelange andauernde Umweltverschmutzung und Ausbeutung der westlichen Industriestaaten führt zu Naturkatastrophen in Entwicklungsländern. Das heißt, die von der reichen Weltbevölkerung verursachte Wirkung muss von ärmeren Teilen erduldet werden, wobei die meisten Menschen diese Zusammenhänge noch nicht kennen. Es wird also immer wichtiger: „Die gegenseitige Abhängigkeit zu begreifen, ist eine Grundvoraussetzung für ein Verständnis dafür, wie alles funktioniert: Sowohl unser Herz und unser Geist als auch die Faktoren, die überall auf der Welt Konflikte verursachen und die internationalen Beziehungen komplex gestalten.“ Nichtern – Buddhismus 43.

Allerdings und richtigerweise kann das nicht einzig und allein intellektuell, über Internet, Telekommunikation oder Fernsehen gelöst werden. Vielmehr sind eben Bewusstsein und Mitgefühl erforderlich, um dieses Einssein zu erreichen. Es ist schon richtig, dass ein Einzelner kaum etwas dazu beitragen kann. Wenn sich jedoch alle auf diese persönliche Impotenz berufen, wird eine Weiterentwicklung der Welt nicht möglich sein. „Das Ding, das wir WELT nennen, ist in Wirklichkeit ein Produkt der wechselseitigen Abhängigkeit von all den Ängsten, Hoffnungen, Vorstellungen, Neigungen und Werturteilen: die Welt ist ein Produkt der Kreativität und vor allem der Handlungen von Milliarden von Menschen, die auf ihr leben.“ Nichtern – Buddhismus 60.

Genau diese Milliarden Menschen sind aber in der Lage, auch wenn jeder nur einen kleinsten Beitrag dazu liefert, das Bewusstsein der Welt zu ändern. Die technischen Voraussetzungen dafür sind geschaffen. Es gilt nunmehr, das Denken zu intensivieren und eine nächsthöhere Bewusstseinsstufe zu erreichen. „Das TÜRKISE Bewusstsein versteht die Menschheit als einen Superorganismus aus sieben Milliarden Menschen. Jeder Einzelne von ihnen ist eine bewusste Zelle, die unterschiedlich ausdifferenziert ist – eine fraktale Entsprechung zum menschlichen Körper mit seinen Billionen von zusammenwirkenden Zellen.“ Küstenmacher – Gott 9.0 199.

Dieser metaphorische Vergleich, den Küstenmacher zwischen den biologischen Zellen und der Anzahl der Menschen zieht, ist nicht ganz neu, sondern wurde bereits von James Lovelock in der Gaia-Hypothese vertreten. Diese Ganzheitlichkeitsmodelle finden nunmehr Anschluss an die jahrhundertalte hinduistische „Advaita-Tradition“. Unabhängig davon kommt die westliche Philosophie neuerdings zu ähnlichen Erkenntnissen und stellt fest: „Man kann die Menschheit als Ganzes, als ein kollektives Lebewesen betrachten, das wiederum Teil eines noch umfassenderen Organismus ist, der die gesamte Erde umfasst. Unser stark individualisiertes Ich-Gefühl (Ego), das durch die Identifikation des Bewusstseins mit dem Verstand entsteht, hindert uns zumeist an der Wahrnehmung dieser Ebene.“ Starkmuth – Die Entstehung 180.

Die ganz wesentliche Herausforderung für jeden Einzelnen besteht nunmehr darin, sein Ego-Bewusstsein in Richtung eines ethnozentrierten Weltbildes weiter zu entwickeln. Wir müssen erkennen, dass niemand außer uns Menschen für die Welt als Ganzes Verantwortung trägt. Es ist fahrlässig, dies auf einen möglicherweise außerhalb existierenden Gott zu übertragen. Damit ist aber auch gesagt, dass Einssein und Non-Dualität eine spirituelle Dimension haben und „…dass es über die wunderbare Verschiedenartigkeit von Menschen und Kulturen hinaus auch Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen ihnen gibt. Dieser Schritt vom Ethnozentrischen zum Weltzentrischen ist verbunden mit der Entdeckung des Gemeinwohls aller Wesen und insofern spirituell, als wir uns hier mit Dingen identifizieren, die alle fühlenden Wesen miteinander teilen.“ Wilber – Intergrale 36.

Sehr viele Autoren – und unter anderem auch Ken Wilber – verweisen auf die transzendenten Fähigkeiten des Menschen. Sofern das als richtig angenommen werden kann, stellt sich die Frage, wo und wie das zu beobachten ist. Einen möglichen Beitrag dazu liefern, wie oben bereits dargestellt, die Internetmedien.

Eine große Masse an Menschen erhält die gleiche Information und ist aufgrund deren einheitlicher biologischer Eigenschaften in der Lage und es ist wahrscheinlich so, gleich oder ähnlich zu denken.

Die Non-Dualität, Ganzheitlichkeit und Einsseins sind jene Dimensionen, die in der einschlägigen Literatur der globalen Spiritualität, die häufigsten Erwähnungen finden. Damit dürfen diese zu Recht als solche verwendet werden. „Mit der transpersonalen Entwicklung oder dem dritten Rang beginnt das eigene Ich über den persönlichen Bereich hinaus in ein Reich von großer Weite, leuchtender Klarheit und Erfahrungen von Einheit hineinzuwachsen, die alle einen eindeutig spirituellen Geschmack haben.“ Wilber – Integrale 128.

Sehen Sie auch:

https://www.spiritua.life/2016/02/26/die-achtsamkeit-und-das-mitgefuehl-sind-praegende-merkmale-fuer-eine-globale-spiritualitaet/

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