Die Erleuchtung und Erkenntnis als spirituelles Grundbedürfnis

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Althergebrachte religiöse Traditionen haben immer den Weg der Erkenntnis als Erlösungsweg gesehen. Daher: „… ist es eine elementare Dimension jeder Weltreligion, dass sie von der Überzeugung ausgeht, im eigenen Glauben ein für alle Menschen mögliches Sinnangebot anzubieten.“ Bader – Weltethos 142.

Zwischenzeitlich und aufgrund naturwissenschaftlicher Forschung wurden viele dieser Erkenntnisse obsolet und auch falsch. Es stellt sich nun die Frage, ob Erkenntnis überhaupt ein Ziel der Menschheit sein sollte. Die derzeitige Wissensexplosion führt eben nicht zu einem verbesserten Erkenntnisstand, sondern führt eher zu mehr Unsicherheit: „Wissen selbst ist inzwischen global. Das bedeutet, uns steht heute zum ersten Mal das gesamte menschliche Wissen zur Verfügung. Jeder von uns kann das Wissen, die Erfahrung, die Weisheit und das Denken aller wichtigen menschlichen Zivilisationen – prämodern, modern und postmodern – studieren.“ Wilber Ken – Integrale Vision, Eine kurze Geschichte der integralen Spiritualität, München 2009, 16.

Im Internet stehen demzufolge der Menschheit nahezu alle von ihr generierten Informationen zur Verfügung. Alleine den Ansatz sich über ein sehr kleines Wissensgebiet zu informieren, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Selbst Wissenschaftler, die sich auf ein Spezialgebiet konzentrieren, können die Information und die darüber laufende Kommunikation kaum mehr überschauen. Diese schier unendliche Vielfalt an Wissen am Netz macht es auch immer schwieriger über dessen Richtigkeit zu befinden: „Die Kommunikationsformen des 21. Jahrhunderts machen es möglich, dass die Wahrheit ganz einfach manipuliert werden kann. Sie kann so gefasst werden, dass der Zuschauer sie in einer vorgefertigten Form aufnimmt, durch die die Wahrheit gezielt in die gewünschte Richtung gedreht wurde.“ Nichtern – Buddhismus 156.

Zuwachs an Wissen führt nicht gleichzeitig zu mehr Erkenntnis. Manche westliche Autoren und vor allem östliche Philosophie erwarten eher durch weniger Wissen mehr Erkenntnis und Bewusstsein. „Das Bewusstsein ist der Wesenskern des Menschen – es ist das, was übrig bleibt, wenn man alle mit dem Körper und dem Gehirn verbundenen Eigenschaften und Interpretationen wegnimmt. Es ist derjenige Aspekt von uns, der sich selbst beobachtet.“ Starkmuth Jörg – Die Entstehung der Realität, Wie das Bewusstsein die Welt erschafft, Bonn 2009, 125.

Insbesondere in der Tradition des Zen-Buddhismus entsprechend wird versucht, durch Unterdrücken des eigenen Denkens und des eigenen Verstandes sich höheren Bewusstseinsebenen anzunähern. Die gelehrte Praxis der Meditation ist zwischenzeitlich in der westlichen Welt anerkannt und etabliert. Ebenso die Tradition des Yoga (siehe Bild), welches auch die Kontrolle über Körper und Geist propagiert, hat bei uns weite Verbreitung gefunden. „Wenn der Verstand schweigt oder sich voll und ganz auf eine gegenwärtige Aufgabe konzentriert, erreicht das Bewusstsein einen erweiterten Zustand, in dem Ego und Zeitempfinden verschwinden, das Selbst mit der wahrgenommenen Realität zu einer Einheit verschmilzt und in dem keine Problemgefühle mehr möglich sind. In seiner reinsten Form nennt man diesen Zustand Erleuchtung.“ Starkmuth – Die Entstehung 339.

Erleuchtung und Erkenntnis_achtgliedriges Yoga

Die ersten Ansätze zur Bewusstseinsforschung lassen sich auf Teilhard De Chardin mit dem Modell der Physiosphäre, Biosphäre und Noosphäre zurückführen. Dieser Ansatz wurde später von C. Graves und J. Gabser differenzierter weiter entwickelt. Die Menschheit entwickelt sich offensichtlich stufenweise in immer höhere Bewusstseinsstadien. Wir sollten eigentlich relativ weit sein: „Wenn wir genau hinschauen, dann sind wir instinktive, reaktive Wesen mit ein bisschen Bewusstsein und sind dem Tierreich noch sehr nahe. Der nächste Schritt der Evolution erfordert es, dass wir uns vom mentalen Bewusstsein in ein supramentales, kosmisches Bewusstsein hineinschwingen.“ Spannbauer – Im Haus 83.

Möglicherweise ist der derzeitige und vor allem in der westlichen Welt etablierte und auf Konsum basierende Wohlstand eher kontraproduktiv zu einer Bewusstseinsentwicklung. Von Menschen, die so leben wie wir, ohne körperliche Entbehrungen spüren zu müssen, sollte man meinen, dass sie glücklich sind. Aus diesem Zustand heraus durchaus in der Lage sind, ihre Persönlichkeit, ihre Beziehungsfähigkeit und ihr Bewusstsein zu entwickeln: „In reichen Gesellschaften verflacht also das Glücksempfinden und lässt sogar nach, wenn das Einkommen einen gewissen Grundlebensstandard übersteigt. Zugleich wird die Konsumsucht gefördert, wenn man sich mehr auf seinen relativen Reichtum konzentriert. Die Vertiefung von Beziehungen, der Gemeinsinn und die Erweiterung des empathischen Bewusstseins bleiben auf der Strecke.“ Rifkin – Die empathische 369.

Zur Entwicklung höherer Bewusstseinsstufen ist also weder ein übermäßiger Konsum, noch körperliche Entbehrung günstig. Es hat sich auch im Laufe der Entwicklung der hinduistischen Tradition gezeigt, dass nach Epochen extremer Askese (Upanishaden) eine gemäßigte Gegenbewegung entstand, die später im Buddhismus mündete. Dieser besagt, dass nicht krasse Askese, sondern der mäßige Weg zur Erleuchtung führt. Sollte dieser Ansatz der richtige sein, so haben Menschen aus der Konsumgesellschaft die besten Voraussetzungen für eine tiefere Bewusstseinsentwicklung, weil sie nämlich bewusst auf Konsumation verzichten und einen mäßigen Weg gehen können. Hingegen Menschen aus unterentwickelten Ländern, mit massiven körperlichen Bedürfnissen wie Durst und Hunger, können das nicht. Dort muss es zuerst gelingen, diese Grundbedürfnisse zu befriedigen, erst dann ist eine spirituelle Entwicklung denkbar. Die Verantwortung für ein höheres globales Bewusstsein liegt also bei den Industriestaaten. Es wird jedoch schmerzhaft für diese Gesellschaftsgruppe sein, in gemäßigtem Verzicht zu leben. Nur müssen wir uns dessen bewusst werden, bislang: „… laufen wir blind durch die Welt, ärgerlich auf das Leben, voller Angst vor der Zukunft. Deshalb ist es das Wichtigste, was es zu tun gibt, aufzuwachen. Erwachen ist die eigentliche spirituelle Tugend“ Quarch – Unsere Welt 162. Der Konsum hat uns in eine Art Trance versetzt, aus der wir aufwachen müssen. Einige wenige global spirituell denkende Menschen haben dies geschafft und berichten darüber: „Es scheint, als seien diese Personen aus dem Maya-Traum (siehe Bild) erwacht – aus der Delusion, dass wir die physische Welt in direkter Weise wahrnehmen. Aus direkter persönlicher Erfahrung – und nicht als irgend so eine theoretische Idee – erkannten sie, dass die gesamte Welt eine Geistesmanifestation ist. Dies sind die Erleuchteten, wie wir sie manchmal bezeichnen, die den Wechsel zum neuen Metaparadigma schon vollzogen haben.“ Russel Peter – Quarks, Quanten und Satori, Wissenschaft & Mystik: Zwei Erkenntniswege treffen sich, Bielefeld 2002, 56.

Entsprechend der Advaita lassen sich alle Formen auf Sein und Bewusstsein zurückführen. Während alle Formen nur Illusion sind und dem Menschen vorgespiegelt werden. Das Ich spielt hier eine überaus wichtige Rolle: „TÜRKIS gibt die Vorstellung auf, dass es überhaupt ein endgültiges Wissen über etwas gibt, auch über sich selbst. Alle eigenen Gedanken, alle inneren Vorstellungen und Urteile werden als Machenschaften des Ich durchschaut, das sich damit unentwegt Realität schafft und sich eine Selbstidentität baut.“ Küstenmacher – Gott 9.0 197.

Zusammenfassend darf also gesagt werden, dass eine Bewusstseinserweiterung und tiefere Erkenntnis nur durch ein maßvolles Leben und durch die Beschränkung des Ego möglich ist. Beides ist für jeden Menschen grundsätzlich möglich, verlangt aber viel Selbstdisziplin und auch Entbehrung. Entbehrung einerseits im Körperlichen, was bedeutet weniger Konsum, weniger Essen, keine Rauschmittel usw. und im Bereich des Ego weniger anhaftend leben. D. h. nicht alle Erfolge, Leistungen und auch Misserfolge dem Ich zuschreiben, sondern ähnlich wie es in der Bhagavad Gita steht – interessenloses Handeln im Sinne der sozialen Notwendigkeit. Sollte es zu einer globalen Umverteilung der Güter kommen, wäre das ein wichtiger Schritt zu einem globalen Bewusstsein. Erst Menschen in durchschnittlichem Wohlstand sind in der Lage ihr spirituelles Leben zu gestalten und ein globales Bewusstsein entwickeln.

Erleuchtung und Erkenntnis_die Illusion

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