Die negative Entropie der Corona Pandemie

Resiliente System

Der Lock Down hat zumindest in seiner akuten Phase die persönliche Freiheit eingeschränkt und damit das Leben verändert.  Sicher waren Mundschutz, Abstand halten und Quarantäne unangenehm. Die Wahrscheinlichkeit am Virus zu erkranken war trotzdem gering.  In der abklingenden Phase war es schon äußerst schwierig noch einen infizierten Menschen zu treffen.

Trotzdem wird in den Medien weiterhin von einer epochalen gesellschaftlichen und politischen Veränderung gesprochen. So nachhaltig wie prognostiziert wird es wohl nicht werden. Menschen vergessen schnell und die Annehmlichkeiten einer Konsumgesellschaft werden wieder zurückkehren. Auch wenn das nicht so schnell geht, wie sich die Wirtschaft das wünscht.

Darüber hinaus ist das COVID SARS 2 bei weitem nicht die gefährlichste Pandemie in der Geschichte.  Die Spanische Grippe hat in den Jahren 1918-20 wahrscheinlich 100 Millionen Menschenleben gefordert. Die Sterberate lag damals bei 5%. Bei der Pest waren es 50% der Erkrankten. Zum aktuellen Zeitpunkt sind weltweit an Corona 450.000 Menschen verstorben. Die Sterblichkeitsrate ist international und regional sehr unterschiedlich. In den USA sind es 360 pmio Einwohner, in UK 630 pmio und in China nur 3 pmio. Die Gefährlichkeit der Krankheit ist also vielmehr von exogenen Faktoren abhängig als vom Erreger selbst. Betrachtet man nur die Daten so ist China eines den sichersten Ländern. Im Vereinigten Königreich zu leben ist da nicht so erstrebenswert.

Die Resilienz einer Gesellschaft gegenüber einer Pandemie ist neben anderen Faktoren von der Hygiene-Kultur, dem Gesundheitssystem, der Bevölkerungsdichte, dem Wissen über Viren und nicht zuletzt von der Führungsstärke der politisch Verantwortlichen abhängig.

Je stabiler eine Gesellschaft in „Friedenszeiten“ umso weniger Schaden in Pandemie Zeiten – so könnte eine Hypothese lauten.  Dagegen spricht die Situation in den hochentwickelten Ländern wie Italien, England und Schweden. Dort ist aber auch nicht alles zusammengebrochen. Die Grundversorgung der Bewohner mit Strom, Nahrungsmittel und Information war immer gesichert. Offensichtlich ist deren Stabilität im Vergleich zu Gesundheitssystemen deutlich besser. In Ländern mit guter Krankenversorgung wie in Österreich ist es bei weitem zu keinem Zusammenbruch der medizinischen Versorgung gekommen. 

Die Stabilität des Gesundheitssystems folgt auch marktwirtschaftlichen Regeln von Angebot und Nachfrage. Allerdings umgekehrt insofern als die Nachfrage gedämpft werden muss. Generell braucht es für ein stabiles System Ressourcen (Geld), Wissen (IT) und Ordnung (Vernetzung). Solcherart entwickelte Systeme sind sehr widerstandsfähig. Aber weil sie komplex sind auch störungsanfällig. Es ist also nicht genug ein medizinisches System im Normalbetrieb zu beherrschen, sondern insbesondere auch dann, wenn es zu Störungen kommt. Ja – der Corona Virus ist so eine Störung.

Eine Störung für die Gesundheitssysteme, die Fluglinien, die Erdölwirtschaft, usw. aber nicht für Nahrungsmittelversorgung.  Was am „Täglichen Brot“ gezeigt werden kann ist gleichzeitig eine Erklärung für den Begriff der „negative Entropie“.  Daraus wiederum sind dann die Mängel am aktuellen Gesundheitssystem ableitbar.

Entropie ist ein Phänomen aus den physikalischen Grundgesetzen der Thermodynamik, genauer dessen zweiten Hauptsatz. Demzufolge streben geschlossene Systeme immer einem energetischen Minimum zu, werden also kälter und deren Ordnung zerfällt. Café wird kälter und nicht wärmer, Häuser verfallen, Lebewesen werden älter, sterben und verwesen. Das ist dann die höchste Form der Entropie von Lebewesen. „Du bist aus Staub und wirst wieder zu Staub werden“ haben schon die Autoren des „Alten Testaments“ erkannt. Nun das Gegenteil von Entropie ist Ordnung oder eben „negative Entropie“

Um Ordnung aufrecht zu halten braucht es laufend Energiezufuhr, Information und das Fernhalten von Störungen. Erkrankungen sind solche Störungen und können durch Behandlungen (Energiezufuhr) mit den richtigen Methoden (Wissen) und unter Ausschluss von Störungen (Krankenhauskeime) gedämpft werden.

Einen erhabenen Eindruck von Ordnung erlebt man bei eine Wanderung entlang eines Getreidefeldes. Die Saat wurde maschinell und zentimetergenau ausgebracht. So stehen nun die Halme in Reih und Glied. Die Ähren alle in eine Richtung geneigt und leicht im Wind schwingend. Möglicherweise noch in der Abendsonne goldgelb leuchtend. Ein Augenblick den wir mit einer Kamera festhalten können. Die Realität, so wissen wir ist eine andere. Schon am nächsten Tag kann die Ernte durch Unwetter völlig zerstört sein. Ein von Hagel zerstörtes Maisfeld gleicht den Trümmern einer Stadt nach einem Bombenangriff.  Zerstörung ruft Abscheu hervor, dementgegen steht Ordnung und Symmetrie für Ästhetik.   

Was wenn der Bauer nichts tut?  Auch solche Fälle hat es schon gegeben. Die Kollektivierung der Landwirtschaft in kommunistischen Systemen hat zu Jahren solcher Ausfälle und damit zu Hungersnöten geführt. In marktwirtschaftlichen Systemen kommt sowas weniger vor, weil das Getreidefeld nicht isoliert, sondern Teil eines Größeren ist (siehe Bild 1). Der Bauer erhält seine Belohnung und ist bestrebt für größtmögliche Ordnung zu sorgen.  Er wird resistente, transgene Pflanzen einsetzen, je nach Bodenbeschaffenheit düngen, Schädlinge vernichten und die Ernte nach der Wettervorhersage ausrichten.

Das nun reife Getreide steht zur Ernte an. Mit einem Mähdrescher wird innerhalb fünf Minute eine Tonne Körner produziert. Das ist möglich, weil damit das vielfache einer menschlichen Energie in Form von Diesel bereitsteht und der verwendete Apparat genau das kann. Alles was ein Mähdrescher an Intelligenz braucht ist in ihm eingebaut, ist also kristallin. Nach dem gleichen Prinzip sind medizinische Apparate aufgebaut. Eine Beatmungsmaschine hat auch so eine kristalline Information. Neuere Maschinen habe dazu noch einen fluiden Anteil in Form künstlicher Intelligenz und können sich in Grenzen an den Bedarf anpassen. Selbstverständlich können in der Getreidewirtschaft viele Störungen auftreten. Die Volatilität des Weltmarktpreises als ein Beispiel kann eine ganze Ernte vernichten. Wie in den USA schon passiert ist es für Farmer günstiger ein Kornfeld abzubrennen als es zu ernten. Sollte alles gut gehen, so wie die Regel, so hat man Getreidekörner ohne jede Verunreinigung in einem Silo – also höchste Ordnung. Eine Handvoll herauszunehmen und die Körner durch die Finger gleiten zu lassen ist ästhetisch und löst auch ein bisschen Ehrfurcht aus.

Die weitere Verarbeitung zu Mehl erfolgt nach dem gleichen Prinzip. Maschinen (Mühlen) werden mit Energie (Strom) versorgt und möglichst von Störungen (Milben) freigehalten. Mit heutiger Technologie wird jedes Korn vor dem Mahlen fotografiert (Information) und falls mangelhaft noch vor dem Mahlen mit einer Pressluftdüse herausgeschossen.  Jedoch werden nicht alle Bestandteile eines Kornes zu Mehl verarbeitet. Es bleibt je nach Ausmahlgrad Getreideschrot übrig. Dieser könnte entsorgt werden oder aber einem anderen System zugeführt werden. Beispielsweise als Stärke zur Produktion von Biokunststoffen.  Genau diese Verwertung von Abfällen können wir im Nächsten Schritt dem Brot oft nicht erkennen.

Weltweit landet ein Drittel der Lebensmittel auf dem Müll und erfährt dort Entropie. Ein schönes Wort, ist aber nichts anderes als verfaulen. Es wurde viel Energie hineingesteckt. Von der Sonne über Diesel, Gas, Strom und menschliche Arbeitskraft. Ist das alles zu 33% in einer Müllhalde verloren? Muss nicht sein, wenn Biomüll separiert und der Düngemittelproduktion zugeführt wird. Solche Systeme sind weltweit gesehen bei weitem nicht Standard. Weil es aber immer noch Mangelregionen gibt ist die Nahrungsmittelverteilung weltweit nicht ausgewogen. Sowie in den USA Intensivbetten (für privat Versicherte) leer stehen während gleichzeitig großer Mangel (für nicht Versicherte) besteht. Vorrat halten ist auch Verschwendung von Energie sofern dieser nicht gebraucht wird.

So – jetzt steht das „tägliche Brot am Tisch“.  Dort wo Lebensmittel im Überfluss zur Verfügung stehen besteht die Gefahr einer Überernährung. Verbunden damit die Zivilisationskrankheit der Fettleibigkeit.  Der Körper verliert seine Homöostase und gerät in Unordnung. Information über ausgewogene, kalorienbewusste Ernährung kann dem Entgegenwirken.  Vorausgesetzt es besteht ein Bewusstsein diesbezüglich und der Mensch kann sich disziplinieren.

Der Kreislauf schließt sich, wenn Abfälle und Ausscheidungen in eine Kläranlage gelangen und dort wiederaufbereitet werden. Wie alle anderen Komponenten im gegenständlichen Kreislauf braucht auch so eine Anlage Energie, Information und muss störungsfrei zu betreiben sein. Eine Besonderheit liegt dabei in der Energieversorgung. Während des Reinigungsprozesses entstehen Gase, die in Motoren verbrannt, zur Stromerzeugung und damit zur Eigenversorgung herangezogen werden. Eine Kläranlage läuft in Verbindung mit IT nahezu von selbst. Der ungiftige Teil des Klärschlammes kommt zurück auf das Getreidefeld. Der Rest wird verbrannt.

Sicherlich habe ich bei diesem modellierten System von Getreide und Brot manche Variablen vernachlässigt.  Sofern es aber gelingt einen Prozess in stabile Komponenten zu zerlegen und diese untereinander sowie mit fremden Prozessen zu vernetzen kann ein System niedriger Entropie entwickelt werden. Ein weiterer Anspruch besteht darin, dass dieses selbständig ohne zentrale Steuerung lebensfähig und adaptiv sein müssen. Die einzelnen Komponenten sollten die dafür notwendigen Eigenschaften in sich tragen. Dazu gehört auch die intrinsische Motivation sich den äußeren Umständen entsprechend weiter zu entwickeln. Ein Belohnungssystem auf evolutionärer Basis ist erforderlich, um die Überlebensfähigkeit zu garantieren.  Definitiv braucht es dazu nicht das Ziel der Gewinnmaximierung.

Auf Basis dieser Erkenntnisse können nun Überlegungen für ein krisenfestes Gesundheitssystem angestellt werden. Dazu gehören:

  1. Vernetzung und Redundanz: Aufbaubau von dezentralen, vernetzten Gesundheitseinrichtungen mit den erforderlichen Redundanzen. Sollte infektionsbedingt eine Einheit geschlossen werden, so müssen andere Häuser deren Aufgabe verlustfrei übernehmen können. Informationsabgleich ist dringend erforderlich. Der elektronische Gesundheitsakt für jeden Bürger ist daher obligat.
  2. Energie: Eine ausfallsichere, netzunabhängige Stromversorgung ist nur der technische Teil. Energie bedeutet auch qualifizierte Arbeitskräfte im erforderlichen Umfang vorhalten zu können. In kapitalistischen Systemen lässt sich Energie auf den gemeinsamen Nenner von Geld reduzieren. Zu Wenig Energiezufuhr bedeutet Entropie und führt zum Verfall. Die jahrelangen Einsparungen im Englischen Gesundheitssystem sind ein tragisches Beispiel dafür. Sprichwörtlich „“Zu Tode gespart“.  Jede Gesundheitseinrichtung ist aufgefordert diesbezüglich für sich selbst zu sorgen. Auch wenn das Geld vom Staat oder der Caritas kommt. Es muss auf jeden Fall her!  Eigen Einnahmen entstehen durch den Verkauf von Dienstleistungen an die Gesellschaft. Das wiederum muss uns etwas Wert sein.
  3. Ressourcen: Deren Verfügbarkeit steht in enger Beziehung mit Geld. Dementsprechend könnte auch so eine Anhäufung zu Energieverlusten führen. Massenhafte Lagerung von Masken, die dann jahrelang nicht gebraucht werden, ist Verschwendung. Sollte diese erst in Jahren gebraucht werden so entsprechen sie nicht mehr dem Stand der Technik. Ein System muss in der Lage sein dafür eine „On Demand“ Produktion vorzusehen. Kommt billiger als deren Lagerung.
  4. Verluste: Davor fürchtet sich jedes private Unternehmen und hat zu deren Vermeidung Manager eingesetzt. Fallen schon Verluste an so sollten diese nicht einfach hingenommen werden, sondern einer Weiterverwertung möglicherweise in einem anderen System zugeführt werden. Investitionen in Beatmungsmaschinen, die dann nach der Epidemie nicht mehr gebraucht werden, sind abzuschreiben oder besser an Länder zu verkaufen die solche aktuell brauchen. Maschinen sind kristalline Intelligenz in denen Energie gebunden ist. Nachdem Epidemien nicht so häufig auftreten sind Wissen und Können auch etwas was veralten und verlorengehen kann. Erfahrung ist in akute Situation sehr gefragt. Um diese zu aufzubauen ist die internationale Zusammenarbeit höchst notwendig. Eine Epidemie ähnliche Situation gibt es immer irgendwo. Auch wenn es „nur“ Heuschreckenschwärme“ oder radioaktive Unfälle sind. Ärzte ohne Grenzen sind dafür ein exzellenter Ansatz. Apparaturen und Wissen in andere Systeme zu exportieren hat einen sehr hohen „Return“
  5. Information: Genau das hat bei Covid 19 hervorragend funktioniert. Wir wurden nahezu stündlich über die neuen Fallzahlen und deren lokale Verortung informiert. Leider ist es noch schwierig Hinweise über infizierte Personen zu bekommen noch ehe die Krankheit ausgebrochen ist. Proben aus Kläranlagen sind zumindest Indikatoren und sollten noch granularer verfügbar gebracht werden. Verteilte Sensoren in der Kanalisation könnten als Frühwarnsysteme dienen. Das Tracing über Smartphones ist auch eine gute Möglichkeit zur Datenbeschaffung ist allerdings wegen des Datenschutzes problematisch.  APPS die Effizient sind und dem Datenschutz entsprechen müssen erst entwickelt werden. Hier darf man Hoffnungen in Apple setzten. Ein Unternehmen welches mit seinen SmartPhones hohe Priorität auf e-Health setzt. Wenn Hunde COVID schnuppern können so könnten dafür auch elektronische Sensoren in die SmartWatch eingebaut werden. Meiner Meinung nach liegt hier der größte Hebel zur Bekämpfung von Pandemien. Sieben Milliarden Armbanduhren fallen nicht auf und stigmatisieren auch nicht.  Pandemien könnte auch kontrolliert werden, wenn man deren Entstehung präzise und im vornherein kennt. Nun ist die Mustererkennung eine der Stärken von künstlicher Intelligenz. Auf jeden Fall sollten die globalen Daten aus der aktuellen Situation als Trainingsdaten für spezifische Pandemie KI genutzt werden. Nationalstaaten müssen die diesbezüglichen Daten herausgeben – was alleine mit China schon schwierig ist
  6. Störungen: Ja – Covid 19 war eine Störung.  Sofern das globale Gesundheitssystem funktioniert hätte, wäre es nicht zur wirklichen Störung, dem Einbruch der Weltwirtschaft gekommen. Und es war sicher nicht das letzte Mal. Allerdings wäre es jetzt zu kurz gedacht die Gesundheitssystem auf die Behandlung von Pandemien zu „tunen“.  Beim nächsten Mal ist es ein radioaktiver Unfall, ein europaweites Blackout, Insektenschwärme, toxische Nahrungsmittel uvm. Die Gesundheitssysteme der Zukunft sollten fähig sein sich unmittelbar an die jeweiligen Erfordernisse anpassen zu können. Sollten also System niedriger Entropie sein. Es ist daher notwendig vom oben dargestellten Modell der Nahrungsmittelindustrie zu lernen. „Wie machen es die Bauern“?!

Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein stabiles System genügend Energie und Information braucht.  Je mehr Information umso geringer der Energieaufwand. Möglichst wenig Verluste und Abfälle produziert und als Adaptives sich selbst erneuerndes, vernetztes Wesen agiert. Eine Herausforderung für das 21.Jhdt und für alle kritischen Systeme.

Video:

https://www.youtube.com/channel/UCTTiv-WBm3mqkM99YUcARiQ

Literatur:

Steven Pinker   2018   Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt                          
Ajay Agrawal, Joshua Gans   2018     Prediction Machines: The Simple Economics of Artificial Intelligence  

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