Black Mirror 1.3 “Das Transparente ICH”

Werte: Transparenz – Fluch oder Segen?

Immer dann, wenn es in der öffentlichen Verwaltung zu korrupten Vorfällen kommt, wird zumindest von der politischen Opposition “volle Transparenz” und Aufklärung gefordert. In Österreich wird dann ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt. Wie die Beispiele des Finanzministers K.H. Grasser, der Kauf der Abfangjäger oder die BUWOG-Affäre zeigen, hat diese Institution zu keiner Klärung beigetragen. Eigentlich müsste Transparenz einen sehr hohen Stellenwert besitzen. Kann aber auch das absolute Gegenteil bewirken, wie Black Mirror 1.3. “Das transparente ICH” zeigt.

In dieser Episode hat die Menschheit bereits einen wesentlichen Schritt zum Transhumanismus gemacht. Für alle, die es sich leisten können oder wollen, steht ein „Memory Enhancer“ zur Verfügung. Dies ist ein kleiner Chip der unter dem Ohr eingepflanzt wird und das Erinnerungsvermögen perfektioniert. Personen, die ein derartiges Gerät eingebaut haben, können sich an alle Situationen erinnern. Erlebtes ist dann mittels einer Fernbedienung abrufbar. Die Anzeige erfolgt entweder auf einem Bildschirm für Andere oder über ein biotechnisches Auge für sich selber.

In der ersten Szene ist Liam Foxwell bei einem Bewerbungsgespräch zu sehen. Er bewirbt sich um die Position eines Juristen für “rückwirkende Erziehungsklagen”. Beispielsweise könnte jemand seine Eltern verklagen, weil in dessen Erziehung Fehler gemacht wurden. Für zu wenig Selbstvertrauen wäre dann der Rechtsweg gegen seine eigenen Eltern möglich. Mit dem „Memory Enhancer“ könnten dafür geeignete Beweismittel aus der Kindheit rekonstruiert werden. Alle vergangenen Situationen sind abrufbar und nichts mehr gerät in Vergessenheit. Die Menschheit hat sich so an diese Technologie gewohnt, dass sie vollständig in den Alltag eingezogen ist. Am Flughafen braucht Liam Foxwell keinen Pass mehr herzeigen, sondern nur mehr einen Schnelldurchlauf seiner letzten 14 Tage dem Zollbeamten abspielen. Terroristische Aktivitäten, Verbrechen und kleinere Rechtsvergehen würden sofort aufgedeckt. Es herrscht volle Transparenz.

Transparenz ist im Spannungsfeld von verfügbar/unverfügbar und verständlich/unverständlich eingebettet. Als transparent würde man dann etwas bezeichnen, was klar und offen ist.

Transparency

Aus diesen beiden polaren Ausprägungen „Verständlichkeit und Verfügbarkeit“ lassen sich vier Dimensionen ableiten. Das sind:

  • das Transparente
  • das Verdeckte
  • das Geheime
  • das Verschlüsselte

Im Quadranten “verdeckt” wäre die Information oder die Situation verständlich, allerdings ist sie nicht verfügbar. Historisch betrachtet fällt darunter die Gnostik. Antike Weisheitslehren wie der Kybalion (Wie oben so unten) oder die Kabbala (Baum des Lebens) waren schon verständlich, der Zugang allerdings sehr limitiert. Man musste einer bestimmten sozialen Schicht (Priester) angehören oder zumindest Mitglied einer Sekte (Orden) sein. Eine moderne Gnostik wäre der Aktienhandel. Information über das Wachstumspotenzial eines Unternehmens ist an sich leicht verständlich. Wenn man dazu noch Zugang zu diesen Daten hat, verdient man leicht und viel Geld. Insiderhandel wird genauso bestraft, wie die Kirche im Mittelalter die Gnostiker verfolgt hat.

In heutiger Zeit würde man die Verschwörungstheorien als verständlich aber unverfügbar einordnen. Dass die erste Mondlandung in einem Filmstudio inszeniert wurde ist verständlich aber nicht nachweisbar. Genauso wenig ist nachweisbar, dass die Juden die Weltherrschaft übernehmen, dass Flüchtlinge von Erdogan in Bewegung gesetzt wurden und die Bilderberger den Welthandel übernehmen. Aber verständlich wären diese Theorien für eine große Mehrheit. Es gibt auch schon digitale Verschwörungstheorien. Den Intel x86 Prozessoren wird nachgesagt, dass sie sich nächtens selbsttätig einschalten, connecten und darüber geheime Rechenoperationen durchführen.

Geheim ist etwas dann, wenn es sowohl unverständlich als auch unverfügbar ist. Von religiösen Menschen wird Gott als das größte Geheimnis bezeichnet. Moderne Theologen erkennen jedoch in Gott immer mehr die “Unverfügbarkeit für Zweck”. Sie/Er greift nicht in das Geschehen ein. Auch wenn es atheistisch klingt, so ist Gott nicht durch Gelübde, Bittgebete oder Schwüre beeinflussbar – bleibt unverfügbar und unverständlich. Im realen Leben gibt es auch Geheimes – bisher. Durch den „Memory Enhancer“ in Episode 1.3 können Menschen keine Geheimnisse mehr haben. Man kann dann nicht mehr Lügen, etwas verheimlichen, ein bisschen anders darstellen oder übertreiben. Alles das macht das Leben menschlich und hat auch seinen Wert. So ist es für Kinder sehr wichtig Geheimnisse mit ihren Eltern oder Freunden zu haben. Liebesbeziehungen können eine besondere Intensität erreichen, wenn sie geheim bleiben müssen.

Gesellschaftliche und kulturelle Vorgänge entziehen sich oft der staatlichen Macht. Dem wird durch Geheimdienste, Spitzelwesen, Spionagen, usw. Abhilfe geschaffen. Insbesondere absolutistische Gesellschaftsformen brauchen diese Art der Informationsbeschaffung. Im vergangenen Jahrhundert war es die Stasi, die Gestapo, der KGB. Heute bedienen sie sich modernster Technologien wie Satelliten, Drohnen und Künstlicher Intelligenz und heißen NSA, Homeland Security und Mossad. Der „Memory Enhancer“ aus der Episode wäre für solche Institutionen das Optimale. Unzuverlässige Lügendetektoren würden dann der Vergangenheit angehören. Geheimnisse würde es dann allerdings keine mehr geben.

Situationen die als verfügbar, allerdings als unverständlich, gelten, würde man als verschlüsselt bezeichnen. Auch hier war das 20. Jahrhundert prägend. Viele Historiker sind der Meinung, dass der Ausgang des Zweiten Weltkrieges wesentlich durch die Entschlüsselung des Enigma Codes bestimmt wurde. Lange Zeit galt die Verschlüsselungsmaschine (ENIGMA) der Nazis als nicht zu dechiffrieren. Als es Alan Turing letztendlich doch gelang, wurde die Kryptologie zu einer Wissenschaft. Im generellen behandelt Wissenschaft unverständliches allerdings verfügbares. Wenn man sich heute mit Gravitationswellen, Quantenverschränkung und schwarzen Löchern beschäftigt, so sind diese verfügbar aber noch völlig unverständlich. Hingegen ist Wissen über elektromagnetische Wellen, Bakterien und Evolution für jedermann verfügbar und wenn gewollt auch verständlich. Wissenschaft zeichnet sich durch objektivierbare Methoden – das sind dann messbare und nachvollziehbare Experimente aus. Wenn das Ganze nicht so präzise und zielorientiert (CERN) abläuft, würde man das als “Hacking” bezeichnen. War der Begriff des Hackers in der Vergangenheit beinahe noch ein Schimpfwort, so ist es heute schon eine nachgefragte Fähigkeit. Die Methode des Hackathons hat bereits in höchst seriösen Unternehmen Einzug gehalten. Wer etwas auf sich hält, installiert einen Hackathon zum Lösen nicht greifbarer Probleme. Hier kann man eine deutliche Werteverschiebung von der ursprünglichen Ursache-/Wirkungs-Linearität hin zur Effektivität feststellen. Es braucht nicht mehr alles verständlich zu sein aber es muss Wirken – verfügbar sein. Vollkommen unverständlich ist die Wertentwicklung von Kryptowährungen (Bitcoin) aber sie existiert und wirkt. Man legt weniger Wert auf Transparenz, sondern mehr auf Output. Verliert Transparenz seinen Wert?

Ja – so wie die Episode 1.3 zeigt, kann Transparenz sehr schnell von Liebe zu Terror führen. Liam Foxwell kommt nach dem höchst unangenehmen Bewerbungsgespräch zu einer Party, bei der seine Frau bereits anwesend ist. Liam spürt, dass zwischen seiner Frau und einem der Gäste (Jones) ein besonders vertrauter Umgang herrscht – er schöpft Verdacht. Zuhause kommt es zu einer ersten Auseinandersetzung, wobei Liam von seiner Frau verlangt, ihm die ehemalige Beziehung zu Jones am Bildschirm aus ihrem „Memory Enhancer“ vorzuspielen. Der Verdacht erhärtet sich. In einer gewaltsamen Szene zwingt Liam seinen Kontrahenten ebenfalls dessen Liebesleben auf dem Bildschirm offen zu legen. Mit diesem Wissen beginnt der Terror. Jones verlangt von seiner Frau: „Ich will, dass du mir das zeigst, ich muss das sehen“. Es bleibt ihr nichts anderes übrig als jene Liebesnacht, die sie mit Jones vor 18 Monaten verbracht hat, abzuspielen. Liam wird dabei klar, dass er nicht der Vater des gemeinsamen Kindes ist. Letztendlich und um zu Vergessen schneidet er sich seine Memory Chip heraus.

„Ich möchte wissen, was du jetzt gerade denkst“. Ist doch ein Wunsch, der aus jeder Liebesbeziehung bekannt ist. Zu wissen was der Andere denkt und das als gemeinsames Geheimnis zu behalten, gehört auch zu Liebe. Im Falle einer Trennung (Rosenkrieg) wird dieses Wissen dann genutzt, um Terror zu machen. Nirgends sonst liegen Liebe und Terror so nahe beisammen. Ein Geheimnis zu haben und das auch für sich zu behalten kann ein großer Wert sein.

Der Wert von Transparenz ist in Zeiten von Social Media sehr kritisch zu beurteilen. KI ist und wird in Zukunft noch viel mehr in der Lage sein unsere Persönlichkeit zu analysieren. Selbst sehr intime Einstellungen sind plötzlich Transparent. Es gibt dann kaum mehr Geheimnisse. Daher:

Intransparenz entwickelt sich zu einem persönlichen Wert.

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